Dr. Axel Deutscher, Dr. iur. Thorsten Junker
Rdn 3039
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Rechtsbeschwerde, Allgemeines, Rdn 2932 und → Rechtsmittel, Allgemeines, Rdn 3221.
Rdn 3040
1. Nach § 46 Abs. 1 i.V.m. § 302 StPO kann auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde verzichtet werden. Auch in Bußgeldsachen muss der Rechtsmittelverzicht aber eindeutig und zweifelsfrei sein (OLG Hamm NZV 1999, 182 = VRS 96, 212; OLG Koblenz VRS 61, 362). Diese Voraussetzungen liegen z.B. vor, wenn der Betroffene nach Rücksprache mit seinem Verteidiger in der HV nach Verkündung des Urteils und Rechtsmittelbelehrung erklärt: "Ich nehme das Urteil an und verzichte auf Rechtsmittel." und diese Erklärung vollständig protokolliert, vorgelesen und genehmigt wurde (§ 273 Abs. 3 StPO). Der Rechtsmittelverzicht kann aber z.B. auch darin liegen, dass der Betroffene bei Anordnung eines Fahrverbots und Verhängung einer Geldbuße seinen Führerschein zu den Akten reicht und um Übersendung einer Zahlkarte bittet (OLG Naumburg NStZ-RR 1997, 340 = NZV 1997, 493) oder ohne Vorbehalt erklärt, die Geldbuße und die Verfahrenskosten tragen zu wollen (OLG Stuttgart NJW 1990, 1494).
☆ In der Bezahlung der Geldbuße allein liegt allerdings noch kein eindeutiger und zweifelsfreier Rechtsmittelverzicht, weil die Zahlungsannahmestelle der Bußgeldbehörde kein gesetzlicher Adressat für einen Rechtsmittelverzicht ist und der Betroffene der irrigen Ansicht gewesen sein kann, eine Geldbuße müsse ohne Rücksicht auf einen eingelegten Rechtsbehelf erst einmal bezahlt werden (vgl. OLG Stuttgart NZV 1998, 81 = VRS 94, 276; a.A. AG Hersfeld NZV 1998, 222; auch → Einspruch, Rücknahme und Verzicht , Rdn 969 ).Bezahlung der Geldbuße allein liegt allerdings noch kein eindeutiger und zweifelsfreier Rechtsmittelverzicht, weil die Zahlungsannahmestelle der Bußgeldbehörde kein gesetzlicher Adressat für einen Rechtsmittelverzicht ist und der Betroffene der irrigen Ansicht gewesen sein kann, eine Geldbuße müsse ohne Rücksicht auf einen eingelegten Rechtsbehelf erst einmal bezahlt werden (vgl. OLG Stuttgart NZV 1998, 81 = VRS 94, 276; a.A. AG Hersfeld NZV 1998, 222; auch → Einspruch, Rücknahme und Verzicht, Rdn 969).
Rdn 3041
2. Solange Zweifel an dem Verzichtswillen des Betroffenen bestehen, liegt ein wirksamer Rechtsmittelverzicht nicht vor (BGH wistra 1999, 22; OLG Hamm NStZ 1986, 378; OLG Köln VRS 41, 440; auch BVerfG NStZ-RR 2008, 209 [solange kein Rechtsmittelverzicht, wie zu erkennen gegeben wird, dass die Frage des Verzichts noch erörtert werden soll]). Die Unwirksamkeit eines Rechtsmittelverzichts kann sich auch daraus ergeben, dass dem Betroffenen vom Gericht eine Verzichtserklärung abverlangt worden ist, ohne dass dieser Gelegenheit hatte, sich vorher mit seinem Verteidiger zu beraten (vgl. hierzu BGH NStZ-RR 1997, 305; OLG Düsseldorf StV 1993, 237, 238; eingehend dazu Burhoff, HV, Rn 2625 ff.). Ausnahmsweise kann ein Rechtsmittelverzicht auch dann unwirksam sein, wenn er lediglich aufgrund einer – sei es auch irrtümlich – objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts zustande gekommen ist (vgl. BGH NStZ 1999, 258 und 526; 2001, 493 m.w.N.; NStZ-RR 2005, 149; KG DAR 2007, 656).
Rdn 3042
3. Im Zusammenhang mit verfahrenserledigenden Absprachen bestimmt § 46 Abs. 1 i.V.m. § 302 Abs. 1 S. 2 StPO, dass der Rechtsmittelverzicht ausgeschlossen ist, wenn dem Urteil eine Verständigung (§ 257c StPO) vorausgegangen ist (→ Hauptverhandlung, Verständigung/Absprache im Bußgeldverfahren, Rdn 2546 f.). Das gilt auch dann, wenn es sich lediglich um eine sog. "informelle Verständigung" gehandelt haben sollte (OLG Köln NStZ 2015, 53 = StV 2015, 281).
Rdn 3043
4.a) Für den Rechtsmittelverzicht gelten die gleichen Formerfordernisse wie für die Rechtsmitteleinlegung. Eine entsprechende Verzichtserklärung muss deshalb schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden (§ 79 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 341 StPO; auch BGHSt 18, 257, 260). Für den Verteidiger besteht für die Erklärung nicht die Verpflichtung zur Übermittlung der Erklärung gem. § 32d S. 2 StPO als elektronisches Dokument (BGH, Beschl. v. 4.7.2023 – 4 StR 171/23, StV 2023, 797 [für die Revision] m. Anm. Burhoff StRR 10/2023, 17; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.11.2022 – 1 Ws 312/22, NStZ-RR 2023, 81 m. Anm. Burhoff StRR 12/2022, 14 für Berufung). Er kann also die Rücknahme z.B. wirksam durch per Telefax an das Gericht übermitteltes Schreiben erklären. § 32d S. 2 ist auch nicht analog anwendbar (OLG Karlsruhe, a.a.O.).
Rdn 3044
b) Da der Rechtsmittelverzicht eine Prozesshandlung darstellt, ist er grds. bedingungsfeindlich und unwiderruflich (vgl. z.B. BGHSt 5, 183; 45, 51, 53; NStZ 2014, 533 = StraFo 2014, 162; NStZ 2017, 95; Beschl. v. 10.11.2015 – 1 StR 520/15). Ausnahmen kommen nur bei schwerwiegenden Willensmängeln in Betracht (wegen der Einzelh. Burhoff/Kotz/Kotz, RM, Teil A Rn 1732 ff.; Burhoff, HV, Rn 2624 ff.; auch BVerfG NStZ-RR 2008, 209; 2017, 92 m.w.N.).
Siehe auch: → Rechtsbeschwerde, Allgemeines, Rdn 2932 m.w.N.; → Rechtsbeschwerde, Rücknahme, Rdn ...