Rdn 2832
Literaturhinweise:
Meyer-Goßner, Sind Verfahrenshindernisse von Amts wegen zu beachten?, NStZ 2003, 169
Rieß, Der Bundesgerichtshof und die Prozessvoraussetzungen, in: Festgabe aus der Wissenschaft zum 50-jährigen Bestehen des BGH, 2000, S. 809 ff.
s.a. die Hinw. bei → Einstellung des Verfahrens nach § 206a bei Verfahrenshindernissen, Teil E Rdn 1714, und bei → Revision, Begründung, Allgemeines, Teil R Rdn 2762.
Rdn 2833
1. Mit der Revision können auch Verfahrenshindernisse geltend gemacht werden (zur Beschwer des Angeklagten bei Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses → Revision, Zulässigkeit, Teil R Rdn 2937). Fraglich ist allerdings, ob diese immer von Amts wegen zu berücksichtigen sind, oder ob diese ggf. – zumindest teilweise – eine zulässige Sach- oder Verfahrensrüge voraussetzen. Dazu ging die h.M. früher davon aus, dass Prozesshindernisse von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu berücksichtigen sind (st.Rspr. des BGH, z.B. BGHSt 29, 94; zuletzt u.a. BGH NStZ 2004, 275 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn 150; eingehend a. Meyer-Goßner NStZ 2003, 169 ff.).
Rdn 2834
Inzwischen wird jedoch unterschieden:
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Handelt es sich um ein sog. Befassungsverbot, das dem Gericht untersagt sich überhaupt mit der Sache zu befassen, wird das von Amts wegen beachtet (zum Begriff Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn 143 ff.). Um ein Befassungsverbot handelt es sich z.B. bei einer unzureichenden Anklageschrift (zur Anklageschrift Burhoff, EV, Rn 574 ff.). |
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Handelt es sich hingegen nur um ein sog. Bestrafungsverbot, das der Bestrafung des Angeklagten entgegensteht (dazu Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.), setzt die Berücksichtigung in der Revision eine zulässige Sach- bzw. Verfahrensrüge voraus. Ein Bestrafungsverbot liegt z.B. bei einem fehlenden Strafantrag vor. |
☆ Auch wenn die Verfahrenshindernisse von Amts wegen zu berücksichtigen sind, empfiehlt es sich für den Verteidiger, den entsprechenden Umständen nachzugehen und dazu vorzutragen , da das Revisionsgericht das Verfahren bei Vorliegen eines solchen Mangels nach §§ 206a, 354 durch Einstellung beenden muss. Zudem kann/wird dann ein Prozesshindernis auch nicht übersehen (werden).vorzutragen, da das Revisionsgericht das Verfahren bei Vorliegen eines solchen Mangels nach §§ 206a, 354 durch Einstellung beenden muss. Zudem kann/wird dann ein Prozesshindernis auch nicht "übersehen" (werden).
Rdn 2835
2. Bei der Überprüfung des Urteils auf das Vorliegen von Verfahrenshindernissen hilft folgende (→ Einstellung des Verfahrens nach § 206a bei Verfahrenshindernissen, Teil E Rdn 1714 und Dahs, RV, Rn 102 ff.; Burhoff/Junker, RM, Teil A Rn 2444 ff.).
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Anklagschrift fehlt oder ist unzureichend (besonders bei Serienstraftaten; zur Anklageschrift Burhoff, EV, Rn 574 ff.), |
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Beschränkungen bei Auslieferung an die BRD (§ 72 IRG), |
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Anwendbarkeit deutschen Strafrechts (BGHSt 45, 65), |
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Eröffnungsbeschluss fehlt oder ist mit schweren Fehlern behaftet (z.B. OLG Köln, Beschluss vom 4.2.2020 – 1 RVs 240/19 [Verwerfungsurteil nach § 329]; OLG Zweibrücken StV 1998, 66; → Eröffnungsbeschluss, Nachholung in der Hauptverhandlung, Teil E Rdn 1882; zum Eröffnungsbeschluss Burhoff, EV, Rn 2387), |
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Exterritorialität des Beschuldigten (§§ 18 – 20 GVG), |
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Immunität des Beschuldigten (Art. 46 Abs. 2 GG), |
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anderweitige Rechtshängigkeit, |
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entgegenstehende Rechtskraft, |
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sachliche Unzuständigkeit; es ist allerdings streitig, ob die sachliche Zuständigkeit als Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu berücksichtigen ist (so BGHSt 38, 172, 176; 40, 120) oder erst auf eine entsprechende Verfahrensrüge hin (so BGHSt 42, 205 [für die Frage, ob das Berufungsgericht § 328 Abs. 2 verletzt hat]), |
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fehlender oder zurückgenommener Strafantrag (→ Rücknahme eines Strafantrags, Teil R Rdn 2946), |
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Strafgewalt überschritten (§§ 419 Abs. 1 S. 2; 232 Abs. 1 S. 2, 233 Abs. 1 S. 2; → Beschleunigtes Verfahren, Teil B Rdn 902; → Entbindung des Angeklagten vom Erscheinen in der Hauptverhandlung, Teil E Rdn 1773), |
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Strafunmündigkeit des Beschuldigten (§ 19 StGB), |
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Tatprovokation (→ V-Mann in der Hauptverhandlung, Teil V Rdn 4030), |
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ggf. Verfahrensverzögerung (→ Verfahrensverzögerung, Allgemeines, Teil V Rdn 3386), |
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Eintritt der Verfolgungsverjährung (§ 75 Abs. 1 S. 1 StGB), |
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endgütige Verhandlungsunfähigkeit (BGH NStZ 1996, 242; → Verhandlungsfähigkeit, Allgemeines, Teil V Rdn 3479). |
Siehe auch: → Revision, Allgemeines, Teil R Rdn 2742 m.w.N.; → Revision, Begründung, Allgemeines, Teil R Rdn 2762 m.w.N.