Das Wichtigste in Kürze:

1. Für die Verfahrensrüge gelten strenge Formvorschriften.
2. Der Beschwerdeführer hat bei der Erhebung der Verfahrensrüge die den Mangel begründenden Tatsachen genau und vollständig anzugeben.
3. Das notwendige Rügevorbringen richtet sich nach der konkret im Einzelfall erhobenen Verfahrensrüge.
4. Die Verletzung von Verfahrensvorschriften der StPO kann einen absoluten oder relativen Revisionsgrund darstellen.
5. Die Verfahrensrüge ist abzugrenzen von den Verfahrensvoraussetzungen und Verfahrenshindernissen.
6. Einer ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge darf durch eine nachträgliche Protokollberichtigung die Tatsachengrundlage entzogen werden (sog. Rügeverkümmerung).
 

Rdn 3078

 

Literaturhinweise:

Burhoff, Verteidigerfehler in der Tatsachen- und Revisionsinstanz, StV 1997, 432

ders., Entbindung vom Erscheinen in der Hauptverhandlung, VRR 2007, 250

ders., Rechtsprechung zur Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung: Abwesenheit, Verwerfung, VA 2023, 195

Cierniak/Niehaus, Rechtsbeschwerde und Zulassungsantrag im Rechtsbeschwerdeverfahren, DAR 2020, 69

Dahs, Die Revisionsbegründung – Puzzle oder Glücksspiel?, StraFo 1995, 41

Fezer, Anmerkung zu BGH Beschluss 1 StR 466/05 v. 12.1.2006, StV 2006, 290

Gieg/Olbermann, Die anwaltliche Rechtsbeschwerde in Straßenverkehrssachen, DAR 2009, 617

Gribbohm, Das Scheitern der Revision nach § 344 StPO, NStZ 1983, 97

Hamm/Pauly, Die Revision in Strafsachen, 8. Aufl. 2020

Jahn/Widmaier, BGH v. 12.1.2006 – 1 StR 466/05, Anfragebeschluss: Verwertbarkeit des Hauptverhandlungsprotokolls nach Berichtigung gegen den Revisionsführer, JR 2006, 166

Junker, Beweisantragsrecht im Strafprozess, 2. Aufl. 2014

Junker/Veh, Die Verteidigung im Rechtsbeschwerdeverfahren, VRR 2006, 9 ff. und 50 ff.

Krawczyk, Der Anfragebeschluss des 1. Strafsenats des BGH vom 12.1.2006 zur Beachtlichkeit nachträglicher Protokollberichtigungen – Steht der Revisionspraxis eine grundlegende Änderung bevor?, HRRS 2006, 344

Krenberger, Das Abwesenheitsverfahren im Bußgeldrecht – Rechtsprechungsübersicht 2010/2011 zu §§ 73, 74 OWiG, zfs 2012, 424

ders., Rechtsprechungsübersicht zu §§ 73, 74 OWiG für das Jahr 2012, zfs 2013, 364

Lampe, Unzulässigkeit einer "Rügeverkümmerung", NStZ 2006, 366

Staub, Das Nachholen der Begründung von Rügen der Verletzung des formellen Rechts/Formalrügen nach Ablauf der Revisions-/Rechtsbeschwerdebegründungsfrist im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, DAR 2017, 425

Ventzke, § 344 Abs. 2 Satz 2 – Einfallstor revisionsgerichtlichen Gutdünkens?, StV 1992, 338

Widmaier, Anforderungen an die Verfahrensrüge nach § 344 Abs. 2 S. 2, StraFo 2006, 437

s. auch die Hinw. bei → Rechtsbeschwerde, Allgemeines, Rdn 2932 und → Rechtsmittel, Allgemeines, Rdn 3221.

 

Rdn 3079

1. Für die Verfahrensrüge sieht das Gesetz strenge Formvorschriften vor, die in der Praxis – ebenso wie bei der Revision – oft zum Scheitern der Rechtsbeschwerde führen (auch Gribbohm NStZ 1983, 97). Mit der Verfahrensrüge werden Rechtsfehler gerügt, die den Verfahrensablauf und seine Gestaltung betreffen (Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1182 ff. und 2307 ff.; zusammenfassend auch Gieg/Olbermann DAR 2009, 617; Junker/Veh VRR 2006, 9 ff. und 50 ff.). Entscheidend für die Abgrenzung des Verfahrensrechts vom sachlichen Recht ist nicht, ob die verletzte Vorschrift in der StPO oder in einem anderen Gesetz steht, sondern ob sie den Weg bestimmt, auf dem der Richter zur Urteilsfindung berufen und gelangt ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 337 Rn 8; LR/Franke, § 337 Rn 66; auch BGHSt 19, 273, 275 und 25, 100).

 

Rdn 3080

Gegenstand der Verfahrensrüge könnte z.B. sein:

die sachliche und örtliche Unzuständigkeit des Gerichts,
die Ablehnung des Richters wegen Befangenheit,
die Nichtgewährung des letzten Wortes (das letzte Wort ist nicht auf den Verteidiger übertragbar, OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.3.2020 – IV-2 RBs 47/20, zfs 2020, 410),
die Verletzung der Unmittelbarkeit der HV, z.B. durch die unstatthafte Verlesung einer Vernehmungsniederschrift,
die Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit,
die Verletzung der Aufklärungspflicht,
die fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen,
Verfahrensfragen im Zusammenhang mit der Zulässigkeit des schriftlichen Verfahrens und einer Beschlussentscheidung nach § 72,
Verletzungen der Hinweispflichten aus § 243 Abs. 4 S. 1 StPO (Schweigerecht des Betroffenen),
Fehler bei der Erhebung des Zeugenbeweises,
die Nichtbeachtung eines Beweiserhebungs- oder Beweisverwertungsverbots,
die Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren.
 

☆ Verletzt ist das Verfahrensrecht immer dann, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene Handlung unterblieben oder fehlerhaft vorgenommen worden ist oder wenn sie überhaupt unzulässig war ( Meyer-Goßner/Schmitt , § 337 Rn 9 m.w.N.). Abzustellen ist hierbei auf die Sachlage, wie sie dem OLG bekannt ist, nicht auf die Sachlage, die der Tatrichter gekannt und beurteilt hat (BGHSt 10, 303 und 16, 178, 180). Ob also dem Beschwerdeführer oder dem Tat...

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