R / 3 Reduzierte Besetzung der großen Strafkammer/Jugendkammer [Rdn 4155]

Das Wichtigste in Kürze:

1.	In § 76 GVG ist eine Regelung über eine reduzierte Besetzung der großen Strafkammern/Jugendkammern enthalten.
2.	Die Fragen können auch bereits im Ermittlungsverfahren eine Rolle spielen.
3.	Nach den §§ 76 Abs. 2 – 5 GVG, 33b Abs. 2 – 6 JGG gilt grds. die Zweierbesetzung.
4.	Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 1 der Vorschriften §§ 76 GVG, 33b JGG ist die Dreier-Besetzung zwingend, wenn die Straf-/Jugendkammer als Schwurgericht zuständig ist.
5.	Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 2 der Vorschriften §§ 76 GVG, 33b JGG ist die Dreier-Besetzung ebenfalls zwingend, wenn freiheitsentziehende Maßregeln der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten sind.
6.	Nach Abs. 2 S. 3 Ziff. 3 der Vorschriften der §§ 76 GVG, 33b JGG ist die Dreier-Besetzung der Straf-/Jugendkammer zwingend, wenn nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters notwendig erscheint. §§ 76 Abs. 3 GVG, 33b Abs. 3 JGG enthält Regelfälle.
7.	Für die Praxis des Verteidigers von besonderer Bedeutung sind die Fragen der Nachholbarkeit der Besetzungsentscheidung, wenn eine Entscheidung fehlt, die mit ihrer Anfechtung und die einer ggf. zulässigen nachträglichen Abänderung.

Rdn 4156

Literaturhinweise:

Deutscher, Die Zweier-Besetzung in der Hauptverhandlung als dauerhafter Regelfall – Zur Neuregelung der §§ 76 GVG, 33b JGG, StRR 2012, 10

Haller/Janßen, Die Besetzungsreduktion bei erstinstanzlichen Strafkammern – Anmerkungen zu den Beschlüssen des BGH vom 14.8. und 16.12.2003, NStZ 2004, 469

Lantermann, Wann und wie wird die Entscheidung über die Besetzungsreduktion nach neuem Recht kontrollier? Zugl. Besprechung von OLG Dresden, Beschl. v. 28. Oktober2021 – 3 Ws 95/21 u.A., HRRS 2022, 250

Meyer-Goßner/Schmitt, Die Chance nutzen: Gerichtsaufbau in Strafsachen, ZRP 2011, 129

Schlothauer, Die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung, StV 2012, 749

Theile, Gesetzlicher Richter und Wirtschaftsstrafsachen, StV 2019, 763

Weber, Bedeutsamkeit des Umfangs der Sache im Sinne des § 76 Abs. 2 GVG, JR 2004, 172

s.a. die Hinw. bei → Besetzungsfragen, Teil B Rdn 1198.

Rdn 4157

1. In § 76 GVG ist inzwischen eine Regelung über eine reduzierte Besetzung der großen Strafkammern/Jugendkammern enthalten (zum früheren Recht und zur Rechtsentwicklung Voraufl. Rn 3984 f.). Diese geht zurück auf das "Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der HV und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des BundesdisziplinarG", durch das 2011 die Zweier-Besetzung der StK als Regelfall vorgesehen ist. Die Vorschrift des § 122 GVG, der die Besetzung des erstinstanzlich tätig werdenden OLG-Senats regelt, ist allerdings damals nicht geändert worden.

Rdn 4158

2.a) Da die StK grds. im → Eröffnungsbeschluss, Teil E Rdn 2387, über die Besetzung der Kammer in der HV zu entscheiden hat, können die mit der reduzierten Besetzung zusammenhängenden Fragen auch schon im EV eine Rolle spielen. Deshalb sollen die Regelungen in § 76 GVG bzw. § 33b JGG auch hier dargestellt werden (eingehend Deutscher StRR 2012, 10 ff., dessen Darstellung u.a. Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen ist; Schlothauer StV 2012. 749 ff.; s. i.Ü. den Gesetzesvorschlag der Großen Strafrechtskommission in: Gutachten, S. 116, sowie die BT-Drucks 17/6905 bzw. 17/7276).

Rdn 4159

b) Allgemein ist sowohl für allgemeine Strafsachen bei der großen StK des LG als auch für die Jugendkammer von folgendem Regelungsgefüge auszugehen (Schlothauer StV 2012, 749, 750):

▪	Nach §§ 76 Abs. 1 GVG, 33b Abs. 1 JGG sind die großen Straf-/Jugendkammern – nach wie vor – außerhalb der HV immer mit drei Berufsrichtern einschließlich Vorsitzendem besetzt (OLG Zweibrücken StraFo 1997, 204). Insoweit ist stets durch drei Berufsrichter zu entscheiden. Das gilt z.B. auch für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch (§ 27 Abs. 2; → Ablehnung eines Richters, Allgemeines, Teil A Rdn 1 m.w.N.) oder für die Entscheidung über den Eröffnungsbeschluss (BGHSt 50, 267; 60, 248; BGH NStZ 2009, 52; StV 2007, 562; → Eröffnungsbeschluss, Teil E Rdn 2387), und zwar auch, wenn der in der HV nachgeholt wird/werden muss ([zuletzt] BGHSt 60, 248; BGH NStZ 2012, 50; 2018, 110; StraFo 2017, 509; Beschl. v. 5.6.2018 – 5 StR 133/18, StraFo 2018, 471; Beschl. v. 5.9.2018 – 2 StR 31/18, StV 2020, 847; Beschl. v. 14.9.2022 – 5 StR 215/22, StraFo 2023, 21; Beschl. v. 21.4.2021 – 6 StR 102/21, NStZ-RR 2021, 217; Beschl. v. 6.6.2023 – 5 StR 136/23, NStZ-RR 2023, 253; → Eröffnungsbeschluss, Teil E Rdn 2387).
▪	Für die Besetzung in der HV gelten §§ 76 Abs. 2 – 5 GVG, 33b Abs. 2 – 6 JGG. Grds. gilt die Zweierbesetzung.
▪	Über die Besetzung ist immer, also nicht nur im Fall der vorgesehenen Zweier-Besetzung, zu entscheiden, entweder bei der Eröffnung im → Eröffnungsverfahren, Teil E Rdn 2411, (§ 76 Abs. 2 S. 1 GVG bzw. § 33b Abs. 2 S. 1 JGG) im → Eröffnungsbeschluss, Teil E Rdn 2388, oder bei b...