Leitsatz
1. Hat der Mieter in die Mietwohnung einen nichtehelichen Lebensgefährten aufgenommen, ist für die Räumungsvollstreckung ein Vollstreckungstitel auch gegen den nichtehelichen Lebensgefährten erforderlich, wenn dieser Mitbesitz an der Wohnung begründet hat. Ein Mitbesitz an der Wohnung muss sich aus den Umständen klar und eindeutig ergeben.
2. Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern zusammenleben, haben grundsätzlich keinen Mitbesitz an der gemeinsam genutzten Wohnung. Die Besitzverhältnisse an der Wohnung ändern sich im Regelfall nicht, wenn die Kinder nach Erreichen der Volljährigkeit mit ihren Eltern weiter zusammenleben. Haben Kinder keinen Mitbesitz an der Wohnung erlangt, reicht für eine Räumungsvollstreckung ein Vollstreckungstitel gegen die Eltern aus.
Normenkette
ZPO § 885 Abs. 1
Kommentar
In dem zur Entscheidung stehenden Fall ging es um eine Wohnung, die von der Mieterin, deren Lebensgefährten, der volljährigen Tochter der Mieterin sowie deren Ehemann bewohnt wurde. Die Mieterin war aufgrund eines Räumungstitels zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verpflichtet. Die Gerichtsvollzieherin hat die Räumung abgelehnt. Sie hat die Ansicht vertreten, dass zur Zwangsräumung auch ein Titel gegen die übrigen Bewohner erforderlich sei.
Der BGH ist anderer Ansicht: Zur Räumung einer Ehewohnung ist grundsätzlich ein Titel gegen beide Eheleute erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn nur ein Ehegatte Partei des Mietvertrags ist (BGH, Beschluss v. 25.6.2004, IXa ZB 29/04). In diesem Fall wird angenommen, dass der Ehegatte aufgrund der auf Lebenszeit angelegten Ehe Mitbesitzer der Wohnung ist; der Mitbesitz kann einem Wohnungsnutzer nur aufgrund eines Räumungstitels genommen werden.
In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur ist streitig, ob für eheähnliche Gemeinschaften dieselben Grundsätze gelten. Hierzu werden im Wesentlichen drei Meinungen vertreten:
- Teilweise wird angenommen, dass ein Titel gegen den Mieter ausreicht (LG Darmstadt, DGVZ 1980, 110; LG Freiburg, WuM 1989, 571; LG Lübeck, JurBüro 1992, 196; LG Berlin, DGVZ 1993, 173; Scherer, DGVZ 1993, 161, 163; H. Schneider, DGVZ 1986, 4, 6; Walker in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 885 ZPO, Rdn. 14).
- Nach der Gegenmeinung benötigt der Vermieter grundsätzlich einen Titel gegen alle Wohnungsnutzer, unabhängig davon, ob diese Mieter sind (Baumbach/Albers/Lauterbach/Hartmann, § 885 ZPO, Rdn. 15).
- Nach einer vermittelnden Ansicht ist zwar regelmäßig ein Titel gegen den Lebensgefährten erforderlich; jedoch soll eine Ausnahme gelten, wenn der Mieter den Lebensgefährten ohne Wissen des Vermieters in die Wohnung aufgenommen hat (OLG Hamburg, NJW 1992, 3308; KG, NZM 2003, 105; LG Mönchengladbach, DGVZ 1996, 74; LG Hamburg, DGVZ 2005, 164; Hüßtege in: Thomas/Putzo, § 885 ZPO, Rdn. 4d).
Nach Ansicht des BGH kommt es entscheidend darauf an, ob der Lebensgefährte Mitbesitzer der Wohnung geworden ist. Nur in diesem Fall ist für die Zwangsräumung ein Titel gegen den Lebensgefährten erforderlich. Wesentlich ist, dass für den Mitbesitz keine Vermutung spricht (ebenso: Schuschke, NZM 2005, 10, 11; Becker-Eberhard, FamRZ 1994, 1296, 1303). Vielmehr muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob der Mieter dem Lebensgefährten ein eigenständiges Besitzrecht einräumen wollte. Anhaltspunkte hierfür sind:
- die Anzeige des Mieters an den Vermieter von der Aufnahme des Lebensgefährten;
- die Anmeldung des Lebensgefährten nach den Meldegesetzen.
Im Streitfall muss der Mieter beweisen, dass er dem Lebensgefährten Mitbesitz eingeräumt hat.
Minderjährige Kinder haben kein Besitzrecht. Daran ändert sich nichts, wenn die Kinder nach Eintritt der Volljährigkeit in der Wohnung der Eltern verbleiben. Im Einzelfall kann etwas anderes gelten. Dies setzt allerdings voraus, dass die Änderung der Besitzverhältnisse nach außen eindeutig erkennbar geworden ist.
Nach der Rechtsprechung des BGH gibt es keine eindeutigen Kriterien für oder gegen die Annahme von Mitbesitz. Dem Vermieter ist deshalb zu empfehlen, auch den Lebensgefährten auf Räumung in Anspruch zu nehmen. In einem solchen Fall besteht zwar die Gefahr, dass der Lebensgefährte sein Besitzrecht bestreitet und dass die gegen ihn gerichtete Räumungsklage mit einer für den Vermieter nachteiligen Kostenfolge abgewiesen wird. In einem solchen Fall kann der Vermieter aber aufgrund des Titels gegen den Mieter problemlos vollstrecken.
Wird hingegen nur der Mieter auf Räumung verklagt, muss der Vermieter damit rechnen, dass die Zwangsvollstreckung am Besitzrecht des Lebensgefährten scheitert.
Ist unklar, welche Personen sich in der Wohnung aufhalten, sollte der Vermieter vor Einleitung des Räumungsverfahrens beim Mieter eine entsprechende Auskunft einholen. Wird die Auskunft verweigert oder eine falsche oder unvollständige Auskunft erteilt, so wird sich der alleinverklagte Mieter im Vollstreckungsverfahren nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf das Besitzrecht seines L...