Leitsatz
- Das in § 885 Abs. 2-4 ZPO vorgesehene Verfahren ist auf Tiere entsprechend anwendbar, die sich auf dem zu räumenden Grundstück befinden; dies gilt auch, wenn die durch das Räumungsverfahren entstehenden Kosten – etwa wegen der Art oder Anzahl der Tiere – sehr hoch ausfallen.
- Scheitert der Versuch des Gerichtsvollziehers, die in Verwahrung genommenen Tiere nach § 885 Abs. 4 Satz 1 ZPO zu verkaufen, hat der Gläubiger für die Kosten einer weiteren Verwahrung der Tiere nicht mehr aufzukommen.
- Eine Vollstreckung nach § 888 ZPO neben der Herausgabevollstreckung nach §§ 885, 886 ZPO (hier: Verhängung eines Zwangsgeldes gegen den Schuldner, um diesen zu Maßnahmen zu veranlassen, die der Räumung des Grundstücks dienen) kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn neben der Räumungs- und Herausgabeverpflichtung weitergehende Handlungspflichten des Schuldners Gegenstand des Vollstreckungstitels sind.
(amtlicher Leitsatz des BGH)
Normenkette
ZPO § 885 Abs. 2-4
Kommentar
Zwischen den Parteien bestand ein Pachtvertrag über ein unbebautes Grundstück, auf dem der Pächter zahlreiches Damwild hält. Nach Beendigung der Pachtzeit wurde der Pächter verurteilt, das Grundstück zu räumen und an den Verpächter herauszugeben. Der Pächter weigerte sich, das Damwild von dem Grundstück zu entfernen.
Aus diesem Grund beantragte der Verpächter, gegen den Pächter ein Zwangsgeld zur Erzwingung der Räumungsverpflichtung festzusetzen. Das Landgericht wies den Antrag zurück. Hiergegen hat der Verpächter Rechtsbeschwerde zum BGH eingelegt. Das Rechtsmittel hatte allerdings keinen Erfolg.
1. Vollstreckung eines Räumungstitels
Der Fall führt zu dem Problem, wie ein Räumungstitel über eine Miet- oder Pachtsache zu vollstrecken ist, wenn dort zahlreiche Tiere gehalten werden und der ehemalige Mieter oder Pächter sich weigert, die Tiere zu entfernen. Hierzu werden 2 Ansichten vertreten:
- Die zuständige Polizeibehörde (das Ordnungsamt) muss die Tiere entfernen und in der Folgezeit für deren Unterbringung und Versorgung aufkommen. Dem ehemaligen Vermieter oder Verpächter entstehen keine Kosten; vielmehr sind diese von der Allgemeinheit zu tragen (so insbes. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 4.12.1996, 14 W 64/96, NJW 1997 S. 1789).
- Die Tiere sind wie bewegliche Sachen zu behandeln. Die Vollstreckung richtet sich nach § 885 Abs. 2-4 ZPO.
2. Vollstrecken bei Tieren
Der BGH folgt dieser Ansicht: Tiere sind bewegliche Sachen. Dabei gelten folgende Besonderheiten:
Entfernen der Tiere durch GVZ
Der Gerichtsvollzieher hat die Tiere vom Grundstück zu entfernen. Er muss hierbei die Belange des Tierschutzes beachten. Unter Umständen muss er die Tiere in einem Tierheim unterbringen; dabei kann er staatliche Stellen zur Unterstützung heranziehen.
Für die Wegschaffung und (vorläufige) Unterbringung entstehen Kosten. Hierfür hat der ehemalige Vermieter oder Verpächter einen Vorschuss zu zahlen. Dies gilt auch dann, wenn diese Kosten sehr hoch sind.
Zwangsvollstreckungskosten trägt Räumungsschuldner
Es handelt sich um Kosten der Zwangsvollstreckung, die der ehemalige Vermieter oder Verpächter vom Räumungsschuldner ersetzt verlangen kann.
Kosten für dauerhaftes Unterbringen in Tierheim
Die für eine dauerhafte Unterbringung entstehenden Kosten sind allerdings nicht vom ehemaligen Vermieter oder Verpächter, sondern von der Allgemeinheit zu tragen. Dies beruht auf der Erwägung, dass anderenfalls die Gefahr besteht, dass der Räumungstitel wegen des Kostenrisikos nicht durchgesetzt werden kann.
Verkauf der Nutztiere
Eine Ausnahme gilt für Nutztiere: Diese kann der Gerichtsvollzieher verkaufen. Gelingt dies nicht, sind auch diese Tiere in einer geeigneten Einrichtung unterzubringen und zu versorgen.
Die für eine dauerhafte Unterbringung entstehenden Kosten sind ebenso von der Allgemeinheit zu tragen.
Antrag auf Wegschaffen der Tiere
Das Verhängen eines Zwangsgelds gegen den Räumungsschuldner zur Erzwingung der Räumungspflicht ist nur möglich, wenn der Räumungsschuldner nicht nur zum Räumen und zur Herausgabe des Grundstücks, sondern darüber hinaus auch zum Wegschaffen der Tiere verurteilt wird. Ein entsprechender Antrag ist zulässig.
Vollstrecken bei Haustieren
Eine weitere Besonderheit gilt für Haustiere. Hier hat das Vollstreckungsgericht die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen (§ 765a Abs. 1 Satz 3 ZPO). Hieraus ist u.a. abzuleiten, dass die Haustiere des ehemaligen Mieters grundsätzlich nicht verkauft werden dürfen.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss v. 4.4.2012, I ZB 19/11, NZM 2012 S. 620