Leitsatz

Die analoge Anwendung der §§ 577, 577a BGB im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung auf den Fall der Realteilung eines Grundstücks ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

(Leitsatz der Redaktion)

 

Normenkette

GG Art. 14; BGB §§ 577, 577a

 

Kommentar

Der zur Entscheidung stehende Fall betrifft eine Wohnanlage, die aus mehreren auf einem ungeteilten Grundstück errichteten Reihenhäusern besteht. Die einzelnen Häuser sind zu Wohnzwecken vermietet. Der Eigentümer beabsichtigt, die Einzelgrundstücke real aufzuteilen und die Häuser sodann an einzelne Interessenten zu verkaufen. Eine Mieterin hat die Feststellung beantragt, dass ihr für den Fall des erstmaligen Verkaufs ein Vorkaufsrecht nach § 577 BGB zusteht und dass sie gegenüber einer Kündigung des Erwerbers Kündigungsschutz nach § 577a BGB genießt. Dies ist deshalb problematisch, weil die Regelungen der §§ 577, 577a BGB voraussetzen, dass an vermieteten Wohnräumen Wohnungseigentum begründet und dieses veräußert wird. Der Fall der Realteilung eines Grundstücks wird vom Wortlaut der Vorschriften nicht erfasst.

Der BGH hat durch Urteil vom 28.5.2008 (VIII ZR 126/07, NJW 2008 S. 2257; s.a. die Aktuelle Information "Realteilung eines Grundstücks – Vorkaufsrecht des Mieters und Kündigungssperre", CD-ROM HI2012030) entschieden, dass die §§ 577, 577a BGB auf diesen Fall entsprechend anzuwenden sind. Der Gesetzgeber habe nicht bedacht, dass vermietete Reihenhäuser eines Gesamtgrundstücks nicht nur in Eigentumswohnungen umgewandelt, sondern auch durch Realteilung in einzelne selbstständige Grundstücke aufgeteilt werden können. Die Interessenlage sei in diesem Fall dieselbe wie bei der Umwandlung in Wohnungseigentum. Es liege deshalb eine planwidrige Gesetzeslücke vor, die durch eine entsprechende Anwendung der §§ 577, 577a BGB zu schließen sei. Gegen diese Entscheidung hat der Grundstückseigentümer Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es sei nicht zu beanstanden, dass der BGH von einer Gesetzeslücke ausgegangen und diese im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung geschlossen habe. Voraussetzung für die Annahme einer Gesetzeslücke sei, dass eine aus dem Gesetzeswortlaut folgende Beschränkung vom Gesetzgeber nicht gewollt sei. Hiervon sei im Entscheidungsfall auszugehen, weil sich eine derartige Beschränkung aus den Gesetzesmaterialien nicht ergebe. Die Lückenschließung sei auch unter Beachtung der Wertungen des Grundgesetzes erfolgt. Zwar werde durch die Entscheidung das Recht des Eigentümers aus Art. 14 GG tangiert. Insoweit sei aber zu berücksichtigen, dass das Besitzrecht des Mieters ebenfalls durch Art. 14 GG geschützt sei.

Anmerkung

Mieterschutz geht vor

Für den Schutz des Mieters spiele es keine Rolle, ob ein gemietetes Reihenhaus in Wohnungseigentum umgewandelt oder ob durch reale Teilung ein selbstständiges Eigentum geschaffen wird.

 

Link zur Entscheidung

BVerfG, Beschluss v. 4.4.2011, 1 BvR 1803/08, WuM 2011 S. 355

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