Leitsatz
Macht der Verletzte einer Straftat oder ein am Verfahren nicht beteiligter Dritter geltend, durch die Gewährung unbeschränkter Akteneinsicht an den Beschuldigten in seinen (Grund-)Rechten verletzt zu sein, kann er in entsprechender Anwendung von § 147 Abs. 5 Satz 2 StPO eine gerichtliche Entscheidung beantragen.
Sachverhalt
Die antragstellende Gesellschaft erstattete gegen die beiden beschuldigten früheren Mitarbeiter Strafanzeige wegen Verdachts des Verrats von Geschäftsgeheimnissen nach § 17 UWG. Der Anzeige fügte sie Unterlagen bei, welche die betroffenen Geschäftsgeheimnisse konkretisierten. Durchsuchungen führten in der Folge zur Sicherstellung von weiterem Beweismaterial. Die Staatsanwaltschaft wollte den Beschuldigten und ihren Verteidigern vor Abschluss des Verfahrens umfassende Akteneinsicht nach § 147 StPO gewähren. Hiergegen hat die Antragstellerin beim OLG Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23ff. EGGVG gestellt, um der Staatsanwaltschaft zu untersagen, Akteneinsicht zu gewähren, ohne die geheimhaltungsbedürftigen Dokumente zuvor den Akten zu entnehmen. Das Rechtsmittel hatte teilweise Erfolg.
Entscheidung
Das OLG hält den Rechtsweg nach den §§ 23ff. EGGVG nicht für gegeben, weil dieser nur Maßnahmen der Justizbehörden eröffnet, die als spezifisches Verwaltungshandeln einzuordnen sind. Prozesshandlungen, die der Einleitung, Durchführung und Gestaltung des Ermittlungsverfahrens und damit der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten dienen, sind funktionell aber nicht dem Bereich der Verwaltung, sondern der Rechtspflege zuzuordnen. Rechtsschutz gegen sie kann nur auf der Grundlage der StPO gewährt werden.
Gemäß § 147 Abs. 5 Satz 1 StPO entscheidet im Ermittlungsverfahren über die Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger (allein) die Staatsanwaltschaft. Versagt sie diese, kann dagegen unter bestimmten Bedingungen beim LG gerichtliche Entscheidung beantragt werden1. Hier sind die Voraussetzungen dieser Bestimmung indes schon deshalb nicht gegeben, weil die Staatsanwaltschaft die Einsicht in die Akten nicht versagt hat, sondern im Gegenteil umfassend gewähren will.
Trotzdem bleibt die Antragstellerin nicht rechtlos. Denn im Fall der Gewährung umfassender Akteneinsicht könnte die Eigentumsgarantie2 der Antragstellerin verletzt werden. Eigentum in diesem Sinn ist auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Es umfasst alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert des Betriebs ausmacht, also auch betriebsbezogene, gespeicherte Daten und die Verschwiegenheitspflicht des Arbeitnehmers über Belange des Arbeitgebers, somit auch den Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Deshalb fällt auch ein Geschäftsgeheimnis hierunter. Dementsprechend ist § 147 Abs. 5 Satz 1 StPO analog anzuwenden.
Praxishinweis
Das OLG konnte nicht in der Sache selbst entscheiden. Zunächst muss die Staatsanwaltschaft die Gewährung der Akteneinsicht nochmals prüfen. Sie muss dann zum einen entscheiden, ob überhaupt ein Geschäftsgeheimnis vorliegt. Zum anderen ist abzuwägen, ob das Geschäftsinteresse der Betroffenen oder das Recht auf vollständige Akteneinsicht höher zu bewerten ist. Will die Staatsanwaltschaft danach noch immer umfassend Einsicht gewähren, kann die betroffene Gesellschaft hiergegen beim LG Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen. Das Gericht entscheidet dann abschließend durch Beschluss.
Link zur Entscheidung
OLG Stuttgart, Beschluss vom 10.3.2006, 4 VAs 1/06