Gesellschafter können auch "kritische" Entscheidungen mit einfacher Mehrheit fassen, wenn dies im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist. Es genügt, dass die Auslegung des Gesellschaftsvertrags ergibt, dass der Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll. Anders als früher ist es nicht mehr nötig, dass die einzelnen Beschlussgegenstände konkret benannt werden.
Hintergrund
Der Kläger war Kommanditist einer GmbH & Co. KG. Er wollte mit der Klage die Unwirksamkeit eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung der Gesellschaft aus dem Jahre 2011 feststellen lassen, mit dem diese mehrheitlich die Übertragung der Kommanditanteile des Klägers und des anderen Kommanditisten auf eine Stiftung zugestimmt hatte. Der Kläger meinte, diese Beschlüsse seien nichtig, da es für die Zustimmung zur Übertragung von Anteilen jeweils der Einstimmigkeit bedurft hätte. Die Beschlüsse wurden nämlich mit einer Mehrheit von 90 % der Stimmen gefasst, obwohl der Gesellschaftsvertrag diesen Beschlussgegenstand nicht ausdrücklich aufführte.
Die Vorinstanzen gaben dem Kläger Recht. Die im Gesellschaftsvertrag enthaltene allgemeine Mehrheitsklausel, wonach "die Beschlussfassungen der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit der vorhandenen Stimmen" erfolgen sollten, "[s]oweit nicht in diesem Gesellschaftsvertrag oder im Gesetz ausdrücklich abweichend geregelt" reiche nicht aus. Sie gelte nur für "gewöhnliche" Beschlussgegenstände.
Der BGH entschied zugunsten der Mitgesellschafter. Die Beschlussfassung über die Zustimmung zu den Anteilsübertragungen habe nicht einstimmig erfolgen müssen, da der Gesellschaftsvertrag bereits den einfachen Beschluss ausreichen lasse. Auch sei der Beschluss nicht treuwidrig. Entsprechend der "Otto-Entscheidung" (Az. II ZR 245/05) und der Entscheidung ”Schutzgemeinschaftsvertrag II„ (Az: II ZR 116/08) müsse die Wirksamkeit des Beschlusses in zwei Stufen überprüft werden:
In der ersten Stufe sei die "formelle Legitimation" der Mehrheitsentscheidung zu prüfen. Hierzu sei durch Auslegung zu bestimmen, ob der Beschlussgegenstand einem Mehrheitsentscheid unterworfen sein soll. Es ist anders als früher nicht mehr nötig, die einzelnen Beschlussgegenstände konkret zu benennen. Eine allgemeine Mehrheitsklausel gelte daher grundsätzlich auch für solche Beschlussgegenstände, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen oder ungewöhnliche Geschäfte darstellen.
In einer zweiten Stufe müsse anschließend die "materielle Wirksamkeit" des Beschlusses ermittelt werden. Es müsse geprüft werden, ob die Gesellschafter durch die Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit hinreichend auf die Belange der Minderheit oder der Gesellschaft Rücksicht nehmen. Bei Eingriffen in individuelle Gesellschafterrechte komme es darauf an, ob diese im Gesellschaftsinteresse geboten und dem Gesellschafter zumutbar seien. Bei Eingriffen in absolut oder relativ unentziehbare Gesellschafterrechte (z.B. Stimmrecht, Gewinnanteil) sei regelmäßig eine Treupflichtverletzung anzunehmen. In den sonstigen Fällen müsse die Minderheit eine treupflichtwidrige Mehrheitsentscheidung nachweisen.
Anmerkung
Die Entscheidung setzt die vom BGH mit der "Otto-Entscheidung" (Az. II ZR 245/05) begonnene Linie fort. Der sog. ”Bestimmtheitsgrundsatz„ für die konkrete Auflistung der von Mehrheitsentscheidungen umfassten Gegenstände in Personengesellschaften gilt endgültig nicht mehr. Die BGH-Entscheidung führt dazu, dass formale Angriffspunkte gegen Gesellschafterbeschlüsse in Personengesellschaften verringert werden und sich die Prüfung (noch) mehr auf die zweite Stufe der Treuwidrigkeit verlagert. Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichte hier wie in der Vergangenheit auch die strengen Kriterien anwenden.
Bestehende Gesellschaftsverträge sollten überprüft werden, ob sie den Anforderungen der Rechtsprechung gerecht werden und eindeutig wird, ob alle oder nur bestimmte Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden können. Da Änderungen nicht notariell zu beurkunden sind, können bestehende Verträge unproblematisch ergänzt werden – solange sich die Gesellschafter einig sind, steht einem (einstimmigen) Änderungsbeschluss schließlich nichts entgegen.