Leitsatz

Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie sind in dem Sinne auszulegen, dass die Beträge, die im Rahmen von Verträgen, die der Mehrwertsteuer unterliegende Beherbergungsdienstleistungen zum Gegenstand haben, als Angeld geleistet worden sind, in Fällen, in denen der Erwerber von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens – ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen Dienstleistung – und als solche nicht als mehrwertsteuerpflichtig anzusehen sind.

 

Problematik

Die Société … (in Frankreich) führt Kureinrichtungen mit Hotel- und Restaurationsbetrieb. Sie nimmt die Anzahlung der Kurgäste bei der Reservierung eines Aufenthalts als sog. Angeld entgegen. Entsprechend dem französischen Verbraucherschutzrecht zieht die Société die Beträge entweder bei der späteren Bezahlung der Leistungen des Aufenthalts vom Preis ab oder sie behält sie ein, wenn die Kurgäste auf ihren Aufenthalt verzichten. Die Steuerverwaltung beurteilte das einbehaltene Angeld als mehrwertsteuerpflichtig.

Im Zuge der folgenden Gerichtsverfahren legte der Conseil d’État dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob die von einem Gast an einen Hotelbetreiber als Angeld geleisteten Beträge in Fällen, in denen der Gast von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als Gegenleistung für eine Reservierungsleistung, die der Mehrwertsteuer unterliegt, oder als pauschalierte Rücktrittsentschädigung, die nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, anzusehen sind.

Der EuGH verneinte einen Leistungsaustausch. Er führte aus, dass sich die Reservierungsverpflichtung aus dem Beherbergungsvertrag selbst und nicht einer weiteren Vereinbarung bzw. aus dem geleisteten Angeld ergibt; damit besteht kein direkter Zusammenhang zwischen der erbrachten Dienstleistung und der erhaltenen Gegenleistung. Die Anrechnung des Angelds im Fall der Benutzung des reservierten Zimmers auf den Zimmerpreis bestätigt, dass das Angeld keine Gegenleistung für eine eigenständige, bestimmbare Leistung ist. Das Angeld im Hotelsektor soll vielmehr ein Zeichen für den Abschluss des Vertrags, ein Anreiz für seine Erfüllung und eine pauschalierte Entschädigung sein.

 

Konsequenzen für die Praxis

Die Einbehaltung des Angelds ist die Folge der Ausübung einer dem Gast eröffneten Rücktrittsmöglichkeit und dient dem Hotelbetreiber als Entschädigung nach dem Rücktritt. Eine solche Entschädigung stellt kein Entgelt für eine Dienstleistung dar und ist kein Bestandteil der Besteuerungsgrundlage der Mehrwertsteuer.

Wie der EuGH ausführt, fällt weder die Zahlung noch die Einbehaltung des Angelds oder die Rückzahlung des doppelten Betrags unter Art. 2 Nr. 1 der 6. EG-Richtlinie (jetzt: Art. 2 Abs. 1 Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie), weil die Einbehaltung dieses Angelds nach einer Stornierung durch diesen Gast den Zweck hat, die Folgen der Nichterfüllung des Vertrags auszugleichen. Die deutsche Praxis dürfte bisher – wie die französische Finanzverwaltung – von der eigenständigen Steuerbarkeit einer Reservierungsleistung gegen Entgelt (Angeld) ausgegangen sein.

Die Konsequenzen der EuGH-Entscheidung wird man nach der jeweiligen Gestaltung prüfen müssen. Nicht betroffen dürften die "echten" Buchungs-/Reservierungsleistungen sein, die weder auf den Preis der in Anspruch genommenen bestellten Leistung angerechnet noch bei deren Nichtannahme "einbehalten werden". Fraglich könnte sein, ob andere "rechtsgrundlose" Zahlungen entsprechend aus dem Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer zu nehmen sind. Dazu könnten die Fälle gehören, in denen eine Zahlung in der Annahme erfolgt, sie decke vereinbarungsgemäß eine Leistung ab, während tatsächlich die Leistung bereits vereinbarungsgemäß bezahlt ist (irrtümliche Doppelzahlung). Auch hier könnte der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Zahlung mit der Leistung verneint werden.

 

Link zur Entscheidung

EuGH, Urteil v. 18.7.2007, C-277/05, – Société thermale d’Eugénie-les-Bains –, BFH/NV Beilage 2007 S. 424

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