4.2.1 Anknüpfung
Wurde keine bzw. keine wirksame Rechtswahl getroffen, bestimmt sich das auf die Ehescheidung oder Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anwendbare Recht nach Art. 8 ROM-III-Verordnung. Dieser sieht Anknüpfungsregelungen in einer Form Kegel´schen Leiter, die z.B. Art. 14 EGBGB zu Grunde liegt, vor.
Danach ist folgendes Recht anzuwenden:
- das Recht des Staates, in dem die Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (lit. a);
- das Recht des Staates, in dem die Ehegatten zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Dieser ist aber nur maßgebend, wenn er nicht mehr als ein Jahr vor Anrufung des Gerichts endetet und einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (lit. b);
- das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts besitzen (lit. a);
- das Recht des angerufenen Gerichts, d.h. die lex fori (lit. d).
Art. 8 ROM-III-Verordnung stellt immer auf den nach Art. 16 Brüssel IIa-VO zu bestimmenden Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ab. Danach ist i.d.R. die Einreichung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bei Gericht maßgeblich, vgl. Art. 16 Abs. 1 lit a Brüssel IIa-VO.
Durch nachfolgendes Beispiel wird die Intention der Verordnung deutlich: Es soll diejenige Rechtsordnung angewandt werden, zu der die Ehegatten einen engen Bezug haben.
M und F sind miteinander verheiratet und leben in Stuttgart. Beide sind griechische Staatsangehörige. F möchte sich von M scheiden lassen.
Mangels Rechtswahl bestimmt sich das auf die Scheidung anwendbare Recht nach Art. 8 lit. a ROM-III-Verordnung, sodass deutsches Recht gilt.
Der enge Bezug wird nicht durch die gemeinsame Staatsangehörigkeit, sondern durch den gemeinschaftlichen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts vermittelt.
Indem auf den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts abgestellt wird, sind spätere anknüpfungsrelevante Umstände, z.B. Umzug oder Wechsel der Staatsangehörigkeit, unbeachtlich, es sei denn, die Beteiligten treffen während des gerichtlichen Verfahrens noch eine Rechtswahl (Art. 5 Abs. 3 ROM-III-Verordnung).
4.2.2 Mehrstaater
Bei Mehrstaatern bereitet die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, ähnlich wie bei Art. 5 Abs. 1 lit. c ROM-III-Verordnung, Probleme. Erwägungsgrund Nr. 22 verweist insoweit auf das nationale Recht, wobei die allgemeinen Grundsätze der Europäischen Union zu achten sind.
Streitig ist insoweit auch hier, ob Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, mit der Folge, dass es allein auf die effektive Staatsangehörigkeit ankommt, anwendbar ist. Anders als bei 5 Abs. 1 lit. c ROM-III-Verordnung ist im Rahmen des Art. 8 ROM-III-Verordnung zur Ermittlung der Staatsangehörigkeit auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB zurückzugreifen.
Die Anwendung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB (genereller Vorrang der deutschen Staatsangehörigkeit) ist wegen des Diskriminierungsverbots des Art. 18 Abs. 1 AEUV ausgeschlossen.
Bei Flüchtlingen ist nach Art. 12 GenfFlüchtKonv nach dem Wohnsitz, hilfsweise dem Aufenthalt des Flüchtlings anzuknüpfen. Für Staatenlose ist nach Art. 12 des UN-Übk. über die Rechtstellung der Staatenlosen an den Wohnsitz, ersatzweise an den Aufenthalt anzuknüpfen.
4.2.3 Auswirkungen auf die Praxis
Auffallend ist, dass im Vergleich zum bisherigen deutschen Kollisionsrecht die gemeinsame Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des Art. 8 ROM-III-Verordnung lediglich eine untergeordnete Rolle spielt. Die kollisionsrechtliche Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthaltes führt im Ergebnis dazu, dass deutsches materielles Recht häufiger als früher zur Anwendung kommt. Zur Anwendung ausländischen Scheidungsrechts im Scheidungsverfahren kommt es nur dann, wenn
- der aktuelle gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten nicht im Inland liegt,
Wegen Art. 3 Abs. 1 Brüssel IIa-VO können deutsche Gericht auch mangels (gemeinsamen) gewöhnlichen Aufenthaltes international zuständig sein.
- sich der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt im Ausland befand, dieser nicht vor mehr als einem Jahr vor Anrufung des Gerichts endete und einer der Ehegatten zu diesem Zeitpunkt noch dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat;