I. Materielle Voraussetzungen
1. Verlöbnis
Rz. 6
Das verbreitete übliche Verlöbnis ist keine Ehevoraussetzung, wurde aber im neuen ZGB in einem eigenen Kapitel geregelt. Das Verlöbnis erzeugt zwar keine eherechtliche Wirkung, etwa im Sinne eines Anspruchs auf Eheschließung, jedoch können sich aus der Auflösung eines Verlöbnisses zivilrechtliche Herausgabeansprüche bzw. Ansprüche auf Aufwendungsersatz ergeben (Art. 268 f. ZGB). Die materiellen Voraussetzungen für die wirksame Eingehung eines Verlöbnisses entsprechen denen der Eheschließung, insbesondere ist auch das Verlöbnis nur zwischen geschlechtsverschiedenen Personen zulässig, die grundsätzlich volljährig sein müssen.
2. Eheschließung
Rz. 7
Materielle Voraussetzung der Eheschließung ist zunächst die Geschlechtsverschiedenheit der zukünftigen Ehegatten. Diese wird im neuen ZGB nun ausdrücklich verlangt. Weiterhin bedarf es einer freiwilligen Einwilligungserklärung der Beteiligten (Art. 271 ZGB). Diese ist von den zukünftigen Eheleuten persönlich vor dem Standesbeamten abzugeben, eine Vertretung kommt nicht in Betracht. Das Mindestalter für die Eheschließung ist 18 Jahre, unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. ärztliche Bescheinigung, Einwilligung der Eltern) können auch Minderjährige heiraten, die das 16. Lebensjahr bereits vollendet haben (Art. 272 ZGB). Schließlich ist die Abwesenheit von Ehehindernissen Voraussetzung für eine wirksame Eheschließung. Hierzu zählt das Verbot der Doppelehe, der Eheschließung zwischen Verwandten (in der geraden Linie und in der Seitenlinie bis einschließlich vierten Grades; begründete Ausnahmen für Verwandte des vierten Grades der Seitenlinie sind möglich) sowie zwischen Vormund und Mündel.
3. Nichtigkeit der Ehe
Rz. 8
Das Gesetz unterscheidet zwischen absoluten und relativen Nichtigkeitsgründen (Art. 293 ff. ZGB). Im ersten Fall tritt die Nichtigkeit kraft Gesetzes ein, im zweiten Fall kann die Nichtigkeit durch ein Gericht erklärt werden.
a) Fälle der absoluten Nichtigkeit
Rz. 9
Das Fehlen gesetzlicher Ehevoraussetzungen bzw. die Eheschließung trotz bestehender Ehehindernisse hat grundsätzlich deren absolute Nichtigkeit zur Folge. Dies gilt ohne Einschränkung bei Fehlen der freiwilligen Einwilligungserklärung, beim Verstoß gegen das Bigamieverbot und gegen das Verbot der Verwandtenehe sowie bei einem Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Abgabe der Eheerklärung vor dem Standesbeamten. Die Ehe mit Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist grundsätzlich absolut nichtig. Erreichen jedoch beide Eheleute bis zur Rechtskraft des gerichtlichen Urteils über den Bestand der Ehe die Volljährigkeit, hat die Ehe Bestand; Gleiches gilt, wenn die Ehefrau bis zu diesem Zeitpunkt gebiert oder schwanger wird.
Rz. 10
Ebenfalls als von Beginn an nichtig anzusehen ist die Scheinehe. Darunter wird eine Ehe verstanden, die zu anderen Zwecken geschlossen wird als dem, eine Familie zu gründen (Art. 295 ZGB). Auch dieser Nichtigkeitsgrund wird jedoch geheilt, wenn die Eheleute bis zur Rechtskraft des gerichtlichen Urteils über den Bestand der Ehe in ehelicher Gemeinschaft zusammenleben oder die Ehefrau bis zu diesem Zeitpunkt gebiert oder schwanger wird.
b) Fälle der relativen Nichtigkeit
Rz. 11
Das Gesetz sieht grundsätzlich vier Gründe der relativen Nichtigkeit vor, nämlich
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das Fehlen von erforderlichen Bescheinigungen bzw. Einwilligungen, |
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das Vorliegen eines Irrtums, einer Drohung oder einer arglistigen Täuschung, |
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die zeitweilige Geschäftsunfähigkeit des Ehegatten sowie |
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die Ehe zwischen Vormund und Mündel. |
Rz. 12
Im ersten Fall kann nur diejenige Person, deren Einwilligung nicht vorliegt, die Aufhebung der Ehe beantragen. Im zweiten Fall kann die Aufhebung nur von dem Ehegatten beantragt werden, der sich bei der Eheschließung in einem der genannten Fälle befand. Die Verjährungsfrist beträgt für alle Fälle sechs Monate.
Rz. 13
Die Nichtigkeitsgründe können geheilt werden, wenn bis zur Rechtskraft des Urteils alle gesetzlich vorgesehenen Genehmigungen eingeholt wurden bzw. wenn die Eheleute die Ehe sechs Monate lang nach Erlöschen des Irrtums/der Drohung weitergeführt haben. Auch allgemein wird die Nichtigkeit als geheilt betrachtet, sofern die Ehegatten bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts volljährig wurden oder wenn die Ehefrau bis dahin gebiert oder schwanger wird.
c) Folgen der Nichtigkeit oder Aufhebung der Ehe
Rz. 14
Die Nichtigkeit oder die Aufhebung der Ehe können nur durch gerichtliches Urteil festgestellt bzw. erklärt werden.
Hinsichtlich der Rechtsfolgen zwischen den Ehegatten differenziert das Gesetz nicht danach, ob ein absoluter oder ein relativer Nichtigkeitsgrund vorliegt, sondern unterscheidet nach dem Kriterium der Gutgläubigkeit der Eheleute (Art. 304 ZGB). Danach wird der gutgläubige Ehegatte bis zum Zeitpunkt einer rechtskräftigen Entscheidung des zuständigen Gerichts über die Nichtigkeit bzw. Auflösung der Ehe so gestellt, als sei die Ehe wirksam gewesen. Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten auch im Falle der Nichtigkeit bzw. der Auflösung einer Ehe wegen des Vorliegens eines relativen Nichtigkeitsgrundes die Be...