I. Objektive Anknüpfung des Erbstatuts
Rz. 2
Gemäß Art. 1224 ZGB knüpft das Erbstatut grundsätzlich an den letzten Wohnsitz des Erblassers an. Hiervon wird bei Immobilien jedoch eine Ausnahme gemacht, die u.U. zu einer Nachlassspaltung führen kann: Für Immobilien gilt grundsätzlich das Recht des Belegenheitsstaates, also bei Immobilien, die in der Russischen Föderation registriert sind, zwingend russisches Recht. Diese Regelung entspricht auch der Regelung in Art. 28 Abs. 3 des Deutsch-Sowjetischen Konsularvertrages vom 25.4.1958, welcher nach der Auflösung der Sowjetunion in Bezug auf die Russische Föderation weitergilt.
Rz. 3
Gemäß Art. 20 ZGB wird als Wohnsitz der Ort angesehen, an dem ein Bürger ständig oder überwiegend lebt. Als Wohnsitz von Nichtvolljährigen unter 14 Jahren gilt der Wohnsitz der gesetzlichen Vertreter. Die Feststellung des Wohnsitzes kann in der Praxis im Falle von mehreren Wohnsitzen Probleme bereiten, wobei russische Notare, Behörden und Gerichte, sofern ein Wohnsitz in Russland vorliegt und es sich um einen russischen Staatsangehörigen handelt, im Zweifel russisches Recht anwenden. Gegebenenfalls müsste im gerichtlichen Verfahren bewiesen werden, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen und somit der letzte Wohnsitz des Erblassers im Ausland gelegen ist.
II. Möglichkeiten der Rechtswahl
Rz. 4
Art. 1224 ZGB legt fest, dass grundsätzlich das Recht des Wohnsitzes des Erblassers gilt, sofern in diesem Artikel nicht etwas anderes bestimmt ist. Da eine Öffnungsklausel hin zu einer privatautonomen Rechtswahl in diesem Artikel fehlt, ist eine Rechtswahl durch den Erblasser ausgeschlossen.
Rz. 5
Wenn es um die Nachfolgeplanung größerer Vermögen in Russland geht, wurde bislang in der russischen Praxis häufig auf Möglichkeiten wie z.B. Stiftungsmodelle im Ausland ausgewichen, mit deren Hilfe das russische Erbrecht weitestgehend umgangen werden kann. Dieses galt insbesondere bis zur Abschaffung der Erbschaftsteuer im Jahr 2006. Mit der Schaffung des Instituts einer Nachlassstiftung nach russischem Recht im Jahr 2018 wurde hierzu eine innerrussische Alternative geschaffen. Zu beachten ist, dass gemäß Art. 5m der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31.7.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2023/2878 des Rates vom 18.12.2023, die Einrichtung von Trusts oder vergleichbaren Rechtsgestaltungen sowie die Tätigkeit als Treuhänder, Geschäftsführer oder Sekretär eines Trusts oder einer vergleichbaren Rechtsgestaltung zugunsten russischer Staatsangehöriger oder in Russland ansässiger Personen verboten ist.
III. Erbstatut nach einem Deutschen mit letztem Wohnsitz in Russland
Rz. 6
Da das russische Erbrecht nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern primär an den letzten Wohnsitz (sofern nicht das Belegenheitsstatut bezüglich Immobilien greift) anknüpft, ist nach russischem Recht für einen Ausländer, z.B. einen Deutschen, das Erbrecht des Landes anwendbar, in dem er seinen letzten Wohnsitz hatte, also russisches Erbrecht.
Rz. 7
Nach Art. 21 Abs. 1 EuErbVO kommt es aus Sicht des deutschen Erbrechts nun nicht mehr auf die Staatsangehörigkeit an, sondern auf den gewöhnlichen Aufenthalt am Todestag. Insoweit kommt es nach Geltung der EuErbVO in der Regel nicht mehr zu einem Nebeneinander zweier Erbstatute und entsprechenden potentiellen Nachlasskonflikten.
IV. Erbstatut nach einem russischen Staatsangehörigen mit letztem Wohnsitz in Deutschland
Rz. 8
Bei einem russischen Staatsangehörigen gilt aus russischer Sicht grundsätzlich das Erbrecht des letzten Wohnsitzes, d.h. deutsches Erbrecht. Gemäß Art. 1190 ZGB stellt eine solche Verweisung eine Verweisung auf das materielle Recht unter Ausschluss der deutschen Kollisionsnormen dar.
Rz. 9
Aus deutscher Sicht erfolgt gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO eine Verweisung auf das deutsche Erbrecht als das Erbrecht des letzten Wohnsitzes. Vorbehalten freilich ist das Immobilienvermögen, für das der Deutsch-Sowjetische Konsularvertrag zu beachten ist (siehe Rdn 2), was u.U. zu einer Nachlassspaltung führen kann.
V. Testamentsform
Rz. 10
Fragen der Testierfähigkeit, der Testamentsform und des Testamentswiderrufs unterliegen gem. Art. 1224 Abs. 2 ZGB grundsätzlich ebenfalls dem Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung seinen Wohnsitz hatte. Allerdings gilt eine Testamentserrichtung oder ein Testamentswiderruf in Bezug auf die Form auch dann als wirksam, wenn entweder die rechtlichen Anforderungen des Staates, in dem das Testament errichtet bzw. widerrufen wurde, oder die Anforderungen des russischen Rechts eingehalten wurden. Dadurch ergeben sich indirekt gewisse Rechtswahlmöglichkeiten hinsichtlich der Formanforderungen für das Testament, indem das Testament in dem Land errichtet wird, dessen Recht für die Formanforderungen gewünscht wird.
Rz. 11
Praxishinweis: Um Probleme in der Praxis zu vermeiden, sollten jedoch Testamente gemäß den russischen Formerfordernissen errichtet werden. Theoretisch wäre zwar auch z.B. ein handschriftliches Testament, das in Deutschland errichtet wurde, gültig. Es ist in der Praxis jedoch ...