I. Prinzipien der gesetzlichen Erbfolge
Rz. 12
Das russische Erbrecht gruppiert die möglichen gesetzlichen Erben in acht Kategorien, wobei jeweils die Erben einer Kategorie mögliche Erben der nachfolgenden Kategorien grundsätzlich ausschließen. Anknüpfungspunkt ist zwar der Grad der Verwandtschaft, jedoch wird die Ehe als gleichrangiger Anknüpfungspunkt angesehen, so dass Ehegatten in der gleichen Kategorie wie die Kinder zu finden sind. Ein weiterer Anknüpfungspunkt ist die Abhängigkeit bestimmter Personen von Unterhaltsleistungen des Erblassers, was sich in der achten Kategorie zeigt.
Rz. 13
Das russische Erbrecht kennt grundsätzlich das Repräsentationsprinzip. Wenn z.B. ein Kind des Erblassers vor dem Erbfall gestorben ist, so erben die hinterbliebenen Abkömmlinge dieses Kindes anteilig statt seiner. Wurde ein Erbe gem. Art. 1117 ZGB wegen Erbunwürdigkeit von der Erbschaft ausgeschlossen, so sind seine Abkömmlinge ebenfalls ausgeschlossen.
Rz. 14
Gemäß Art. 1117 ZGB gelten als erbunwürdig Personen, die kumulativ
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vorsätzliche, gesetzwidrige Handlungen gegen den Erblasser, einen der Erben oder gegen die Verwirklichung des letzten Willen des Erblassers begangen haben, |
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dazu beigetragen haben oder versucht haben, dazu beizutragen, dass sie Erbe werden oder dass Dritte Erben werden, oder versucht haben, ihren Erbteil zu vergrößern, und |
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dieses durch ein Gericht festgestellt wurde. |
Rz. 15
Die Erbunwürdigkeit hat weiterhin den Verlust des Pflichtteilsanspruchs zur Folge.
Rz. 16
Ferner ist zu beachten, dass das Repräsentationsprinzip nur für die ersten drei Kategorien von Erben, nicht jedoch für die weiteren Kategorien gilt.
Rz. 17
Erben einer Kategorie erben jeweils zu gleichen Teilen, sofern sie nicht aufgrund des Repräsentationsprinzips zu Erben werden.
Rz. 18
Im Rahmen des Erbrechts sind Adoptivkinder gem. Art. 1147 ZGB den leiblichen Kindern, z.B. des Erblassers, gleichgestellt. Da bei Adoptivkindern die Verwandtschaftsverhältnisse zu ihren leiblichen Eltern und Verwandten grundsätzlich aufgehoben werden, scheiden sie bezüglich ihrer leiblichen Eltern und Verwandten als gesetzliche Erben aus. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegt nur dann vor, wenn gerichtlich angeordnet wurde, dass die Verwandtschaftsbeziehung zu den leiblichen Eltern bestehen bleibt.
II. Die acht Kategorien
Rz. 19
Zur ersten Kategorie von Erben gehören die Kinder, der Ehegatte und die Eltern des Erblassers. Enkelkinder können im Rahmen des Repräsentationsprinzips ebenfalls Erben der erste Kategorie werden (vgl. Art. 1142 ZGB). Zur zweiten Kategorie von Erben gehören Brüder, Schwestern, Halbbrüder, Halbschwestern und Großeltern (sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits) des Erblassers. Ferner können Nichten und Neffen aufgrund des Repräsentationsprinzips ebenfalls Erben der zweiten Kategorie werden (vgl. Art. 1143 ZGB). Zur dritten Kategorie von Erben gehören Brüder, Schwestern, Halbbrüder, Halbschwestern der Eltern des Erblassers. Auch in dieser Kategorie gilt – im Gegensatz zu den folgenden Kategorien – gegebenenfalls das Repräsentationsprinzip.
Rz. 20
Zur vierten bis sechsten Kategorie von Erben gehören Verwandte des Erblassers im dritten bis fünften Verwandtschaftsgrad, sofern sie nicht unter die vorherigen Kategorien fallen. Dabei wird der Verwandtschaftsgrad durch die Anzahl von Geburten, die die Verwandten voneinander trennen, festgestellt. Die Geburt des Erblassers wird dabei nicht mitgezählt. Zur vierten Kategorie gehören demnach Verwandte im dritten Verwandtschaftsgrad (Urgroßeltern), zur fünften Kategorie Verwandte im vierten Verwandtschaftsgrad (Kinder von Neffen und Nichten des Erblassers) sowie Geschwister seiner Großeltern und zur sechsten Kategorie Verwandte im fünften Verwandtschaftsgrad.
Rz. 21
Sofern es keine Erben in den ersten sechs Kategorien von Erben gibt, erben als Erben der siebten Kategorie Stiefkinder und Stiefeltern des Erblassers.
Rz. 22
Eine Besonderheit – und eine achte Kategorie von Erben – sieht das russische Erbrecht bei arbeitsunfähigen Personen vor, die vom Erblasser mindestens ein Jahr lang vor seinem Tod faktisch Unterhalt bezogen haben. Um ihnen den bislang bezogenen Unterhalt im gewissen Rahmen zu sichern, werden sie zu privilegierten Erben, wobei jedoch zwei Gruppen zu unterscheiden sind:
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Arbeitsunfähige Personen, die vom Erblasser Unterhalt bezogen haben und zur zweiten bis siebten Kategorie von Erben zählen: Für sie gilt die Ausschlusswirkung von Erben einer Kategorie gegenüber Erben folgender Kategorien nicht. Gemäß Art. 1148 ZGB erben sie zu gleichen Teilen mit den anderen Miterben auch dann, wenn sie in eine ausgeschlossene Kategorie fallen. Dieses gilt – im Unterschied zur zweiten Gruppe – auch dann, wenn sie nicht mit dem Erben zusammengelebt haben. |
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Arbeitsunfähige Personen, die vom Erblasser Unterhalt bezogen und mit dem Erblasser mindestens ein Jahr zusammengelebt haben, erben gleichberechtigt mit den Erben der jeweils zur Erbschaft berechtigten Kategorie. Dieses gilt auch dann, wenn sie mit dem Erblasser nicht verwandt sind und nicht in eine der ... |