1. Ehewille und Ehefähigkeitsalter
Rz. 1
Materielle Voraussetzungen für die Eheschließung sind die freiwillige Übereinkunft von Mann und Frau und das Ehefähigkeitsalter beider (Art. 12 Abs. 1 FGB). Am Ehewillen mangelt es, wenn einer der Eheschließenden gezwungen oder arglistig getäuscht wurde, sich im Irrtum befindet oder infolge seines Zustands während der standesamtlichen Trauung die Bedeutung seines Handelns nicht verstehen oder nicht steuern kann (Umkehrschluss aus Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 3 FGB). Zwang liegt vor, wenn physische oder psychische Gewalt ausgeübt oder angedroht wird. Eine Täuschung oder ein Irrtum muss sich auf persönliche Eigenschaften des künftigen Ehegatten oder Umstände der Eheschließung beziehen, die jeweils von wesentlicher Bedeutung sind. Ein Zustand, der die freie Willensäußerung beeinträchtigt, kann durch Alkohol- oder Drogenmissbrauch oder eine schwere Krankheit ausgelöst sein.
Rz. 2
Die Ehefähigkeit tritt mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein (Art. 13 Abs. 1 FGB). In begründeten Fällen kann die Eheschließung auf Antrag der Betroffenen von den Organen der örtlichen Selbstverwaltung an ihrem Wohnsitz bereits nach Vollendung des 16. Lebensjahres gestattet werden (Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 1 FGB). Begründete Fälle sind z.B. Schwangerschaft oder die Geburt eines Kindes, faktische Lebensgemeinschaft, bevorstehende Einberufung des Mannes zum Wehrdienst oder bevorstehende lang andauernde Abwesenheit des Mannes oder der Frau aus dienstlichen Gründen. Nur ausnahmsweise kann einer Eheschließung bereits vor Vollendung des 16. Lebensjahres stattgegeben werden; die Regelung der Gründe und des Verfahrens erfolgt durch die Gesetze der Subjekte der RF (Art. 13 Abs. 2 Unterabs. 2 FGB): In den Subjekten der RF ist die Eheschließung meist ab Vollendung des 14. (Moskauer Gebiet, Rostov) oder 15. Lebensjahres (Murmansk, Rjazan, Tver’) ausnahmsweise zulässig, wobei die Gründe im Wesentlichen die gleichen sind wie für die Gestattung der Eheschließung mit 16 Jahren. Die Herabsetzung des Ehefähigkeitsalters unter 16 Jahre erfolgt zumeist auf der Grundlage einer Stellungnahme der Vormundschafts- und Pflegschaftsbehörde. Die Eheschließung vor Vollendung des 18. Lebensjahres hat, vorbehaltlich der Ehenichtigkeit, den Eintritt der vollen Geschäftsfähigkeit zur Folge (Art. 21 Abs. 2 ZGB).
2. Eheverbote
Rz. 3
Eheverbote (nach russischer Diktion: Ehehindernisse) bestehen nach dem numerus clausus des Art. 14 FGB bei bereits bestehender Ehe eines der Eheschließenden, bei Verwandtschaft in gerader – aufsteigender oder absteigender – Linie, bei Geschwister- oder Halbgeschwisterschaft, bei einem Adoptionsverhältnis sowie bei gerichtlicher Erklärung der Geschäftsunfähigkeit eines der Eheschließenden wegen einer psychischen Störung. Dies gilt ungeachtet eines ausländischen Ehefähigkeitsstatuts auch für Ausländer, die in Russland eine Ehe schließen wollen (Art. 156 Abs. 2 FGB). Eine Doppelehe ist nicht gegeben, wenn der frühere, für verschollen oder tot erklärte Ehegatte tatsächlich noch am Leben ist (Art. 26 Abs. 2 FGB). Die Ehe mit einem Verschollenen endet nicht automatisch, sondern wird in einem vereinfachten Verfahren vor dem Standesamt aufgelöst (Art. 19 Abs. 2, 1. Fallgruppe FGB). Danach ist die Ehe – wie auch bei einer Todeserklärung des Ehegatten – bis auf Widerruf aufgelöst. Für ihr "Wiederaufleben" bedarf es eines gemeinsamen Antrags der Parteien beim Standesamt (Art. 26 Abs. 1 FGB). Ein Wiederaufleben scheidet jedoch aus, wenn der "hinterbliebene" Ehegatte eine neue Ehe eingegangen ist (Art. 26 Abs. 2 FGB).
3. Nichtigkeit der Ehe
Rz. 4
Das russische Recht unterscheidet nicht zwischen Aufhebbarkeit und Nichtigkeit einer Ehe. Eine Ehe ist, ebenso wie ggf. der Ehevertrag, entsprechend dem numerus clausus des Art. 27 Abs. 1 FGB aus folgenden Gründen von Anfang an nichtig:
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Fehlen einer der materiellen Ehevoraussetzungen (beiderseitiger Ehewille und Ehefähigkeitsalter bzw. Gestattung der vorzeitigen Eheschließung); |
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Verstoß gegen ein Eheverbot i.S.d. Art. 14 FGB (Verwandtschaft, Doppelehe, gerichtliche Erklärung der Geschäftsunfähigkeit); |
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Verheimlichung einer Geschlechtskrankheit oder Aids-Infektion durch eine Partei (Art. 15 Abs. 3 FGB); |
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beiderseitige oder einseitige Scheinehe. |
Rz. 5
Die Feststellung der Ehenichtigkeit erfolgt auf Antrag einer der Parteien (Art. 28 Abs. 1 FGB). Bei Verstoß gegen ein Eheverbot i.S.d. Art. 14 FGB kann die Nichtigkeit von jedermann, dessen Interessen durch die Eheschließung verletzt sind, im Klageverfahren geltend gemacht werden. In einigen Fällen – n...