Rz. 48
Scheidungsgründe spielen nur dann eine Rolle, wenn einer der Ehegatten nicht in die Scheidung einwilligt. Anderenfalls reicht der Scheidungsantrag eines oder beider Ehegatten aus. Willigt der andere Ehegatte nicht in die Scheidung ein, hat das Gericht die "Unmöglichkeit des weiteren Zusammenlebens der Ehegatten und der Aufrechterhaltung der Familie" festzustellen (Art. 22 Abs. 1 FGB). Gesetzliche Vermutungen, wann das weitere Zusammenleben unmöglich geworden ist, gibt es nicht. In der Praxis haben sich bereits in sowjetischer Zeit gewisse Kriterien herausgebildet, die weiterhin zur Anwendung kommen. Unzureichend sind nach diesen Kriterien nur vorübergehende Meinungsverschiedenheiten oder ein nur zeitweiliger Zerfall der Familie. Das Gericht muss den unumkehrbaren Zerfall der Ehe feststellen. Dies kommt dem Zerrüttungsprinzip des deutschen Scheidungsrechts sehr nahe.
Rz. 49
Die sowjetische Doktrin hat objektive und subjektive Anhaltspunkte für die Zerrüttung der Ehe entwickelt, die weiter Gültigkeit haben. Zu den objektiven Kriterien gehören:
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Kinderlosigkeit und Unmöglichkeit, gemeinsame Kinder zu haben; |
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dauerhaftes Getrenntleben; |
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faktische Gründung einer neuen Familie durch einen der Ehegatten (eheähnliches Zusammenleben mit einem Dritten); |
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schwere Erkrankung eines der Ehegatten, die ein normales Familienleben unmöglich macht. |
Rz. 50
Als subjektive Kriterien für das Scheitern der Ehe gelten:
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Alkoholismus eines der Ehegatten; |
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eheliche Untreue; |
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Verschwendungssucht; |
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Gleichgültigkeit in Bezug auf die Erziehung der Kinder u.Ä. |
Rz. 51
Willigt einer der Ehegatten nicht in die Scheidung ein, kann das Gericht Maßnahmen zur Versöhnung der Ehegatten treffen, u.a. eine oder mehrere Versöhnungsfristen von insgesamt höchstens drei Monaten festsetzen. Ist die Versöhnungsfrist fruchtlos verstrichen und besteht einer der Ehegatten auf der Scheidung, hat das Gericht das Verfahren fortzusetzen (Art. 22 Abs. 2 FGB).
Rz. 52
Ausnahmsweise wird die Ehe in folgenden Fällen auf einseitiges Verlangen eines der Ehegatten in Abwesenheit des anderen geschieden (Art. 19 Abs. 2 FGB):
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gerichtliche Feststellung der Verschollenheit des anderen Ehegatten; |
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gerichtliche Erklärung der Geschäftsunfähigkeit des anderen Ehegatten; |
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Verurteilung des anderen Ehegatten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren. |
Rz. 53
Während der Schwangerschaft der Ehefrau und innerhalb eines Jahres nach der Geburt des Kindes kann der Ehemann keine Scheidungsklage einreichen, sofern die Ehefrau nicht in die Scheidung einwilligt (Art. 17 FGB). Die Vorschrift soll dem Schutz der Gesundheit der Schwangeren bzw. von Mutter und Kind dienen und seelische Schäden abwenden. Diese zeitliche Einschränkung der Scheidung gilt nach der Rechtsprechung auch dann, wenn das Kind tot geboren wird oder vor Vollendung des ersten Lebensjahres verstirbt. Sie ist auch dann anzuwenden, wenn der Ehemann nicht der Vater des Kindes ist. Das Recht der Ehefrau auf Ehescheidung bleibt von dieser Regelung unberührt.