Verfahrensgang

AG Saarbrücken (Entscheidung vom 22.06.2020; Aktenzeichen 43 OWi 976/17)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 22. Juni 2020 im Umfang der Verurteilung des Betroffenen sowie der insoweit getroffenen Kostenentscheidung mit den zugrunde liegenden Feststellungen a u f g e h o b e n und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Saarbrücken z u r ü c k v e r w i e s e n.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Saarbrücken hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 22. Juni 2020 - soweit in dem erstinstanzlichen Hauptverhandlungsprotokoll der 23.06.2020 angegeben ist, handelt es sich um einen offenkundigen Schreibfehler - wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 20 MiLoG in zwei Fällen Geldbußen in Höhe von 1.500,-- € und 3.000,-- € sowie wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 28a Abs. 4 SGB IV in sechs Fällen Geldbußen in Höhe von zweimal 250,-- € und viermal 500,-- € festgesetzt. Zugleich hat es das Verfahren, soweit es "den Mindestlohnverstoß in Bezug auf die Arbeitnehmerin .... betraf", eingestellt.

Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Betroffenen mit am 29.06.2020 per Telefax beim Amtsgericht Saarbrücken eingegangenem Schriftsatz vom 26. Juni 2020 "Rechtsmittel" eingelegt, das er nach am 19.07.2020 erfolgter Zustellung des Urteils an ihn mit am 10.08.2020 per Telefax beim Amtsgericht Saarbrücken eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag mit den ausgeführten Verfahrensrügen der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht und des Strafklageverbrauchs infolge rechtskräftiger strafgerichtlicher Verurteilung (§ 84 Abs. 1 OWiG) sowie der - ebenfalls näher ausgeführten - Sachrüge begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat, soweit Geldbußen in Höhe von 250,-- € verhängt wurden, die Zulassung der Rechtsbeschwerde sowie die Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen insgesamt und die Zurückverweisung an das Amtsgericht Saarbrücken beantragt.

Mit Beschluss vom 6. Oktober 2020 hat der zuständige Einzelrichter des Senats die Rechtsbeschwerde auf den entsprechenden Antrag des Betroffenen, soweit gegen ihn zwei Geldbußen in Höhe von jeweils 250,-- € festgesetzt worden sind, zugelassen und die Sache insgesamt - auch soweit die Rechtsbeschwerde nicht der Zulassung bedurfte - dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 StPO i. V. mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG), mithin zulässige Rechtsbeschwerde, die der Senat dahin auslegt, dass sie sich nicht auf die den Betroffenen nicht beschwerende Einstellungsentscheidung in dem angefochtenen Urteil (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., Vor § 296 Rn. 14) erstreckt, hat bereits mit der erhobenen Sachrüge (zumindest vorläufig) Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.

1. Allerdings besteht - was in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist - kein Verfahrenshindernis. Insbesondere liegt - wie das Amtsgericht entgegen der Auffassung des Verteidigers zutreffend angenommen hat - das Verfahrenshindernis der anderweitigen rechtskräftigen Aburteilung nicht vor. Die durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 26. September 2016 (Az.: 10 Ns 57/16, Bl. 243 ff. d. A.) abgeurteilten Sachverhalte betreffen nicht dieselben Taten im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG, §§ 264 StPO, 84 Abs. 1 OWiG wie diejenigen Taten, die Gegenstand des vorliegenden Bußgeldverfahrens sind.

a) Gemäß § 84 Abs. 1 OWiG kann eine Tat nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, wenn bereits eine rechtskräftige, diese als Straftat ahndende gerichtliche Entscheidung vorliegt. Der Tatbegriff des § 84 Abs. 1 OWiG deckt sich mit demjenigen der Art. 103 Abs. 3 GG, § 264 StPO (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 21.02.2017 - III-1 RBs 361/16, juris Rn. 5; Senatsbeschluss vom 16. Januar 2019 - Ss Bs 97/2018 (78/18 OWi) -; Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 17. Auflage, § 84 Rn. 5; KK-OWiG/Lutz, 5. Auflage, § 84 Rn. 1; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 84 Rn. 15). "Tat" im Sinne dieser Bestimmungen ist ein "konkretes Vorkommnis", ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet. Zu diesem Vorgang gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Lebensauffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt. Zwischen den einzelnen Verhaltensweisen des Täters muss eine "innere Verknüpfung" bestehen, dergestalt, dass ihre getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde. Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. OLG Köln, a. a. O.; vorgen. Senatsbeschluss).

Ausgangspunkt der Bewertung ist hierbei die materiell-rechtliche Betrachtung. Zwar ist der prozessuale Tatbegri...

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