Leitsatz (amtlich)
1. Ist im Vorprozess nur der - über den freiwillig vom Unterhaltspflichtigen gezahlten Betrag hinausgehende - Betrag tituliert worden, so ist der Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten in Höhe des freiwillig geleisteten Sockelbetrages nicht Streitgegenstand des vorangegangenen Verfahrens, sondern nur ein für die damals zu treffende Entscheidung vorgreifliches Rechtsverhältnis gewesen, das als bloßes Urteilselement an der Rechtskraft des abzuändernden Beschlusses nicht teilgenommen hat (Anschluss an BGH, FamRZ 1995, 729, 1986, 661; 1985, 371).
2. Im Rahmen des Unterhaltsanspruchs aus § 1615l Abs. 2 S. 4 und 5 BGB kommt es bei der Festlegung des Bedarfs des betreuenden Elternteils grundsätzlich ausnahmslos und unveränderlich auf dessen bei Geburt des Kindes erreichte Lebensstellung an. Der Bedarf kann daher auch dann nicht nach der aktuellen Situation des Unterhaltsberechtigten bestimmt werden, wenn er aufgrund einer bestehenden Erwerbsobliegenheit auf eine bedarfsdeckende Tätigkeit verwiesen wird (Anschluss an BGH FamRZ 2010, 444; 357; 2008, 1739).
3. Eine Obliegenheit, sich rechtzeitig um eine Erwerbsmöglichkeit zu kümmern, besteht auch schon vor dem Zeitpunkt, zu dem die Erwerbsobliegenheit greift (Anschluss an BGH FamRZ 1995, 871).
Verfahrensgang
AG S. (Beschluss vom 10.10.2012; Aktenzeichen 22 F 202/12 U) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - in S. vom 10.10.2012 - 22 F 202/12 U - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die Abänderung einer Unterhaltsverpflichtung nach § 1615l BGB.
Aus der Beziehung des Antragstellers und der im Mai 1981 geborenen Antragsgegnerin, die weder miteinander verheiratet waren noch sind, aber ab Februar 2009 einen gemeinsamen Haushalt führten, ging am 25.7.2009 der gemeinsame Sohn L. vor. Die Beteiligten trennten sich zum 1.3.2011, seitdem wohnt L. bei der Antragsgegnerin. Diese lebt seit Juni 2012 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit einem neuen Partner zusammen.
Die Antragsgegnerin machte im Jahr 2001 das Abitur. Zum 1.1.2002 nahm sie bei der Firma B. eine Ausbildung zur Bürokauffrau auf, die am 8.3.2002 durch Aufhebungsvertrag beendet wurde. Ab dem Wintersemester 2002/03 studierte sie an der Universität des S. Wirtschaftspädagogik im Diplomstudiengang. Am 3.8.2006 bestand sie die Diplom-Vorprüfung. Ende des Sommersemesters 2008 beendete die Antragsgegnerin dieses Studium, weil kein Prüfungsanspruch mehr bestand. Seit dem Wintersemester 2008/09 studiert sie an der Fernuniversität H. Wirtschaftswissenschaften. Im Rahmen dessen sind die Pflichtmodule aufgrund des vorangegangenen Studiums anerkannt worden, so dass das Grundstudium bestanden gewesen ist. Die Antragsgegnerin geht seit dem Wintersemester 2004/05 neben ihren Studien in wechselndem Umfang einer Teilzeittätigkeit als Kassiererin beim I.-Einrichtungshaus in S. nach.
Der Antragsteller ist gelernter Automobilmechaniker. Er arbeitet seit 1.1.2011 vollschichtig als Sachbearbeiter Engineering bei der Firma A. GmbH & Co KG in S. und verdient dort rund 2.100 EUR netto monatlich.
Durch - mit Beschlüssen vom 6.1. und 29.2.2012 berichtigten - Anerkenntnisbeschluss vom 30.11.2011 - 22 F 362/11 U - verpflichtete das Familiengericht den Antragsteller u.a., an die Antragsgegnerin "für sein Kind L. S." für die Zeit ab Oktober 2011 über freiwillig gezahlten Unterhalt von monatlich 320 EUR hinaus monatlich weitere 326 EUR zu zahlen.
Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller die Antragsgegnerin nach vorgerichtlicher Verzichtsaufforderung vom 28.6.2012 mit am 25.7.2012 eingegangenem und der Antragsgegnerin am 17.8.2012 zugestelltem Schriftsatz auf Abänderung jenes Titels dahin in Anspruch genommen, dass er der Antragsgegnerin ab 26.7.2012 keinen Unterhalt mehr schuldet.
Die Antragsgegnerin hat zunächst mit Schriftsatz vom 4.9.2012 auf Zurückweisung des Abänderungsantrags angetragen. Zuletzt hat sie den Abänderungsantrag i.H.v. 306 EUR anerkannt und im Übrigen beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 10.10.2012, auf den Bezug genommen wird, hat das Familiengericht den - berichtigten - Beschluss vom 30.11.2011 dahin abgeändert, dass der Antragsteller ab August 2012 an die Antragsgegnerin keinen Unterhalt mehr zu zahlen hat, und der Antragsgegnerin die Verfahrenskosten auferlegt.
Mit ihrer Beschwerde beantragt die Antragsgegnerin zuletzt, den Abänderungsantrag des Antragstellers zurückzuweisen und den Antragsteller - unter teilweiser Abänderung des angegangenen Beschlusses und des Beschlusses vom 30.11.2011 in der Fassung der Berichtigungsbeschlüsse - zu verpflichten, an die Antragsgegnerin ab August 2012 über den im Beschluss vom 30.11.2011 titulierten Betrag hinaus weiteren Unterhalt von 14 EUR monatlich zu zahlen.
Der Antragsteller bittet um Zurückweisung der Beschwerde.
Der Senat hat die Akte 20 F 362/11 U des AG S. zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und die Antragsgegnerin per...