Leitsatz (amtlich)

1. Den an eine mündliche Erörterung nach § 57 S. 2 FamFG zu stellenden Anforderungen genügt es nicht, wenn das Gericht die Beteiligten im Erörterungstermin lediglich auf ihre bereits schriftsätzlich gestellten Anträge Bezug nehmen lässt und sodann unmittelbar - unter Ankündigung einer Entscheidung im Schriftwege - den Termin schließt.

2. Eine mündliche Erörterung in einem Parallelverfahren kann allenfalls dann an die Stelle derjenigen im gegenständlichen Eilverfahren treten, wenn in jenem auch alle in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entscheidungserheblichen Fragen mündlich erörtert worden sind.

 

Normenkette

FamFG § 57 S. 2

 

Verfahrensgang

AG St. Wendel (Beschluss vom 31.01.2023; Aktenzeichen 6b F 4/23 EAWH)

 

Tenor

Unter Aufhebung der Vorlageverfügung des Amtsgerichts - Familiengericht - in St. Wendel vom 15. Februar 2023 wird die Sache zur Durchführung einer mündlichen Erörterung an das Amtsgericht - Familiengericht - in St. Wendel zurückgegeben.

 

Gründe

Die Sache ist mangels Entscheidungszuständigkeit des Senats an das Familiengericht zurückzugeben, weil keine Beschwerde nach den §§ 58 ff. FamFG vorliegt. Der als "Rechtsbeschwerde" (Bl. 48 a d.A.) bzw. Beschwerde (Bl. 65 d.A.) bezeichnete Rechtsbehelf der Antragstellerin ist vielmehr als Antrag auf Neuentscheidung auf Grund mündlicher Erörterung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG zu behandeln bzw. in einen solchen umzudeuten (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 6. Januar 2022 -6 UF 177/21 - m.w.N.), zumal er als Beschwerde wegen § 57 S. 1 FamFG unstatthaft wäre. Dem steht § 57 S. 2 Nr. 5 FamFG nicht entgegen, weil die von dieser Vorschrift vorausgesetzte mündliche Erörterung bislang nicht stattgefunden hat.

Der Begriff der "mündlichen Erörterung" i.S. dieser Norm wird zwar - im Ausgangspunkt - dem in § 54 Abs. 2 FamFG verwendeten Begriff der "mündlichen Verhandlung" gleichgesetzt (siehe dazu etwa OLG Braunschweig FamRZ 2020, 1113 m.w.N.; BeckOK-FamFG/Schlünder, 45. Edition, § 57, Rz. 6; Dutta/Jacoby/Schwab/Heiß, FamFG, 4. Aufl. § 57, Rz. 2; Musielak/Borth/Frank, FamFG, 7. Aufl., § 57, Rz. 11). Dies bedeutet allerdings nicht zugleich, dass in einem (FamFG-)Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, auch wenn dieses - wie die vorliegende Wohnungszuweisungssache - den streitigen Antragsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist, der Bedeutungsgehalt jenes Begriffs zivilprozessualen Grundsätzen entnommen werden könnte (vgl. auch Prütting/Helms/Dürbeck, FamFG, 6. Aufl., § 57, Rz. 11 i.V.m. § 54, Rz. 8). Darauf, ab welchem Zeitpunkt in einem Zivilprozess mündlich verhandelt worden ist, kommt es vielmehr schon deswegen nicht an, weil die diesbezüglichen Maßstäbe - insbesondere § 137 ZPO samt der einschlägigen Rechtsprechung hierzu - in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht anwendbar sind und auf diese auch nicht passen. Denn letztere sind weder dem Beibringungs- noch dem Mündlichkeitsgrundsatz unterworfen, sondern werden von der Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) und der Maxime beherrscht, dass der gesamte (Akten-)Inhalt des Verfahrens die Entscheidungsgrundlage des Gerichts bildet (§ 37 Abs. 1 FamFG). Dementsprechend bedarf es im Erörterungstermin (§ 32 FamFG) - auch in streitigen Antragsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit - keiner förmlichen Stellung bereits aktenkundiger Anträge. Zweck des Termins ist vor allem die Aufklärung des Sachverhalts sowie die Gewährleistung des den Beteiligten grundrechtsgleich in Art. 103 Abs. 1 GG verbrieften und einfachrechtlich durch § 37 Abs. 2 FamFG ausgestalteten Anspruchs auf rechtliches Gehör, und zwar - deswegen: mündliche Erörterung - dergestalt, dass die Beteiligten die Gelegenheit haben, in dem Rahmen des klar umrissenen Verfahrensgegenstandes ihre Position dem Gericht effektiv (gerade) mündlich zu vermitteln und sich auch unmittelbar mit dem Vorbringen der Gegenseite auseinanderzusetzen (dazu OLG Braunschweig a.a.O.); in geeigneten Fällen kann der Temin auch dem Ausloten der Möglichkeiten einer gütlichen Einigung dienen (siehe zum Ganzen Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., § 32 FamFG, Rz. 5 und 7).

Diesen an eine mündliche Erörterung zu stellenden Anforderungen hält die aus den Akten ersichtliche Verfahrensweise des Familiengerichts im Termin vom 19. Januar 2023 in vorliegender Sache nicht stand. Das Familiengericht hat darin lediglich im Wege der Bezugnahme die bisherigen Anträge stellen lassen und sodann vermerkt: "Ein Beschluss ergeht schriftlich". Mithin ist nach Lage der Akten den Beteiligten - in dem durch die bereits aktenkundigen Anträge gezogenen Rahmen - im hiesigen Verfahren nicht feststellbar Gelegenheit zu mündlichem Vortrag gegeben worden, wobei dies - aufgrund des dargestellten Zwecks und dessen verfassungsrechtlicher Fundierung - zugleich den wesentlichen Vorgängen des Termins zugehört, welche - nicht anders als das Ergebnis der persönlichen Anhörung der Beteiligten, die im Übrigen vorliegend ebenfalls unterblieben ist - wegen § 28 Abs. 4 S. 2 FamFG in den r...

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