Leitsatz (amtlich)
Haben die Verfahrensbeteiligten nicht gemäß § 72 Abs. 6 Satz 1 OWiG auf eine Begründung des Beschlusses verzichtet, wird die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen einen gleichwohl ohne Begründung ergangenen Beschluss bereits mit dessen Zustellung in Gang gesetzt (im Anschluss an OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. August 2002 - 1 Ws (OWi) 296/02).
Verfahrensgang
AG St. Ingbert (Entscheidung vom 12.09.2019) |
AG St. Ingbert (Entscheidung vom 24.06.2019; Aktenzeichen 28 OWi 975/19) |
Tenor
1. Der Betroffenen wird auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts St. Ingbert vom 24. Juni 2019 gewährt. Der Beschluss des Amtsgerichts St. Ingbert vom 12. September 2019 ist damit gegenstandslos.
2. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts St. Ingbert vom 24. Juni 2019 a u f g e h o b e n und die Sache zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts St. Ingbert z u r ü c k v e r w i e s e n.
Gründe
I.
Mit Bußgeldbescheid vom 14.12.2018 setzte die Zentrale Bußgeldbehörde des Saarlandes gegen die Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft um 33 km/h eine Geldbuße in Höhe von 340,-- € fest und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an.
Nachdem die Betroffene gegen den Bußgeldbescheid rechtzeitig Einspruch eingelegt und die Staatsanwaltschaft die Akte dem Amtsgericht St. Ingbert unter Hinweis darauf, dass einer Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss nicht widersprochen werde, im Falle der Durchführung einer Hauptverhandlung die Staatsanwaltschaft nicht teilzunehmen beabsichtige und auf Terminsnachricht verzichtet werde, vorgelegt hatte, hat der zuständige Bußgeldrichter des Amtsgerichts St. Ingbert zunächst Termin zur Hauptverhandlung auf den 06.06.2019 bestimmt. In diesem Termin hat er die Hauptverhandlung nach durchgeführter Beweisaufnahme ausgesetzt und der Betroffenen aufgegeben, ihr bisheriges Vorbringen "zur beruflichen Situation und den Umständen zur Tatzeit" innerhalb einer Frist von zwei Wochen konkret darzulegen und zu belegen. Zugleich heißt es in dem betreffenden Hauptverhandlungsprotokoll, es bestehe "Einvernehmen, dass ggf. im Beschlusswege entschieden wird." Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2019, in dem die aufgegebenen Darlegungen erfolgten, hat die Verteidigerin der Betroffenen mitgeteilt, es bestehe "für den Fall, dass kein Fahrverbot verhängt wird, Einverständnis mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren."
Daraufhin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 24. Juni 2019 gegen die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 33 km/h eine Geldbuße von 480,-- € festgesetzt. Die Gründe dieses Beschlusses lauten: "Von der Begründung wird gemäß § 72 Abs. 6 OWiG abgesehen."
Gegen diesen der Verteidigerin am 16.07.2019 zugestellten Beschluss hat diese mit am 17.07.2019 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag Rechtsbeschwerde eingelegt.
Mit Beschluss vom 12. September 2019 hat das Amtsgericht die Rechtsbeschwerde gemäß § 346 Abs. 1 StPO i. V. mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG als unzulässig verworfen, da die Betroffene das Rechtsmittel nicht begründet habe.
Gegen diesen ihr am 23.09.2019 zugestellten Beschluss hat die Verteidigerin mit am 23.09.2019 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts beantragt. Sie meint, die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde habe, da der Beschluss vom 24. Juni 2019 keine Gründe enthält und solche auch nicht gemäß § 72 Abs. 6 Satz 3 OWiG zur Akte gelangt sind, noch nicht zu laufen begonnen und demgemäß auch nicht geendet. Vorsorglich hat sie für den Fall der Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat sie geltend gemacht, eine Fristversäumung sei nicht durch die Betroffene verschuldet, und u. a. - die Richtigkeit des Vorbringens anwaltlich versichernd - vorgetragen: Sie sei von der Betroffenen mit der Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde beauftragt worden und habe dieser zugesagt, sie werde das Rechtsbeschwerdeverfahren durchführen und die Betroffene müsse sich um nichts weiter kümmern. Eine womöglich verspätete Begründung des Rechtsmittels durch die Verteidigerin sei der Betroffenen erst am 19.09.2019 bekannt geworden, als ihr der Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts St. Ingbert vom 12. September 2019 zugegangen sei. Zugleich hat die Verteidigerin die Rechtsbeschwerde mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts St. Ingbert vom 12. September 2019 aufzuheben. II.
Der Betroffenen ist auf ihren vorsorglich gestellten An...