Entscheidungsstichwort (Thema)
gefährliche Körperverletzung
Verfahrensgang
StA Saarbrücken (Aktenzeichen 20 Js 74852/70) |
Tenor
1. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.
2. Auf den Antrag seines ehemaligen Pflichtverteidigers – Rechtsanwalt … – wird festgestellt, daß der Antragsgegner in der Lage ist, die Gebühren eines gewählten Verteidigers in sechs Monatsraten zu zahlen.
Gründe
Der Antragsteller war am 10.11.1971 in der Hauptverhandlung vor der Jugendkammer als Berufungsgericht zum Pflichtverteidiger des Antragsgegners bestellt worden; gegen den mit Urteil vom selben Tag auf eine zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe erkannt wurde; gemäß § 74 JGG hat die Jugendkammer davon abgesehen, ihm die Kosten und Auslagen des Verfahrens aufzuerlegen. Nach den Urteilsfeststellungen war der Antragsgegner, der zuvor nur Gelegenheitsarbeiten ausgeführt hatte, seit dem 2.8.1971 bei einem monatlichen Nettolohn von 800,– DM als Kraftfahrer beschäftigt.
Mit einem an das Amtsgericht gerichteten, am 10.11.1971 eingegangenen Schreiben beantragte der Pflichtverteidiger unter Hinweis darauf, daß der Antragsgegner bei seinem Netto-Verdienst von 800,– DM in der Lage sei, die Gebühren eines gewählten Verteidigers zumindest in Raten zu zahlen, die dementsprechende gerichtliche Feststellung nach § 100 Abs. 2 S. 1 BRAGebO. Nach vergeblicher Aufforderung zur Stellungnahme entsprach die Jugendkammer mit Beschluß vom 13.4.1973 dem Antrag des Pflichtverteidigers; diese Entscheidung wurde dem Antragsgegner am 10.5.1973 durch Niederlegung bei der Post, zugestellt. Dieser wendete sich mit einem Schreiben vom 30.4.1973 – bei Gericht eingegangen am 3.5.1973 gegen das Begehren des Antragstellers mit der Begründung, er sei zur Zahlung der Wahlverteidigergebühren außerstande, weil er seinen Wehrdienst bei einem Sold von 135,– DM leiste und außerdem für ein derzeit neunmonatiges nichteheliches Kind aufkommen müsse.
Nach den vom Senat angestellten Ermittlungen leistet der Antragsgegner seit dem 4.4.1972 seinen Wehrdienst; neben Sachbezügen im Wert von 190,– DM bezieht er einen monatlichen Wehrsold von 126,– bis 139,50 DM. Für die Dauer des Wehrdienstes werden an sein nichteheliches Kind auf Kosten des Bundes monatlich 126,– DM gezahlt.
Die statthafte (§ 100 Abs. 2 S. 3 BRAGebO) sofortige Beschwerde ist zulässig.
1. In dem Schreiben des Antragsgegners vom 30.4.1973 ist eine sofortige Beschwerde zu sehen, da in ihm mit hinreichender Deutlichkeit der gegen eine gerichtliche Feststellung nach § 100 Abs. 2 S. 1 BRAGebO gerichtete Wille zum Ausdruck kommt.
2. Der Zulässigkeit dieser form- und fristgerecht erhobenen sofortigen Beschwerde steht, nicht entgegen, daß das Rechtsmittel bereits vor Zustellung des angefochtenen Beschlusses, d.h. zu einem Zeitpunkt eingelegt worden ist, in dem der Antragsgegner weder von dem Erlaß des Beschlusses noch von dessen Inhalt Kenntnis hatte: Anfechtbar ist eine Entscheidung, sobald sie erlassen ist (Kleinknechte StPO, 29. Aufl., Anm. 3 vor § 296). Ein Beschluß ist erlassen, wenn er nach vollständiger Abfassung für Personen außerhalb des Gerichts bestimmt ist (Kleinknecht, a.a.O., Anm. 38a vor § 33). Dies war vorliegend am 18.4.1973, also vor Einlegung der sofortigen Beschwerde (3.5.1973) der Fall. Von dem weiteren Erfordernis einer Kenntnis des Rechtsmittelführers vom Erlaß einer Entscheidung und von deren Inhalt ist die Zulässigkeit eines Rechtsmittel: nicht abhängig (Vorlagebeschluß des Senats vom 14.9.1972 – Ss 24/71, bestätigt durch den – zur Veröffentlichung bestimmten – Beschluß des BGH vom 16.5.1973 – 2. StR 497/72).
3. Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde scheitert auch nicht am Fehlen des Rechtsschutzinteresses: Gemäß § 74 JGG ist der Antragsgegner von Kosten und Auslagen des Verfahrens-freigestellt worden. Von dieser Freistellung wird der Anspruch des Pflichtverteidigers aus § 100 Abs. 1 S. 1 BRAGebO jedoch nicht erfaßt (OLG Hamm NJW 1961, 1640 – 1641 –; Dallinger-Lackmer, JGG, 2. Aufl. § 68 Rdnr. 23; Grethlein – Bruder, JGG, § 74 Anm. 1 C), so daß der Antragsgegner durch die angefochtene Entscheidung beschwert ist.
II.
Der angefochtene Beschluß konnte keinen Bestand haben, weil er vom unzuständigen Gericht erlassen worden ist.
1. Gemäß § 100 Abs. 2 S. 1 BRAGebO hat das erstinstanzliche Gericht über Anträge der vorliegenden Art zu entscheiden; diese Zuständigkeitsregelung gilt auch für den Fall, daß – wie hier – der Pflichtverteidiger von einem Gericht höherer Instanz bestellt worden ist. In Anlehnung an die vom Senat zu der vergleichbaren Sachlage, daß an Stelle des nach § 126 Abs. 2 S. 3 StPO allein zuständigen Vorsitzenden das Kollegialgericht über eine einzelne die Untersuchungshaft betreffende Maßnahme entscheidet, vertretenen Ansicht, eine derartige Entscheidung könne keinen rechtlichen Bestandshaben (s. bspw. Beschluß v. 4.8.1972 – Ws 216/72–; Beschl. v. 21.5.1973 – Ws 61/73–), muß der angefochtene Beschluß aufgehoben werden, weil er von einem funktionell nicht zuständigen Rechtspflegeorgan erlassen word...