Leitsatz (amtlich)

Der Kapitalanlageberater genügt seiner Pflicht zur objektgerechten Beratung durch Übergabe eines Prospekts nur dann, wenn dem Kapitalanleger eine Kenntnis vom Inhalt der im Prospekt enthaltenden Informationen noch vor Vertragsschluss möglich ist. Davon ist regelmäßig nicht auszugehen, wenn ein umfangreicher Prospekt erst während des Beratungsgesprächs übergeben wird, das mit der Zeichnung der Kapitalanlage seinen Abschluss findet.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 17.05.2011; Aktenzeichen 14 O 218/10)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten zu 2) gegen das Urteil der 14. Zivilkammer des LG Saarbrücken vom 17.5.2011 - 14 O 218/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt: Die Klägerin und die Beklagte zu 2) tragen die Gerichtskosten je zur Hälfte, die Beklagte zu 2) trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2). Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

2. Dieses Urteil ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

3. Die Klägerin ist des Rechtsmittels der Anschlussberufung verlustig.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.001 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagten im Wege der Teilklage auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.

Der Beklagte zu 1) war als Anlageberater für die Beklagte zu 2) tätig.

Der Zeuge S., der Bruder der Klägerin, vereinbarte mit der Klägerin einen Termin, anlässlich dessen der gesamte Versicherungsbestand der Klägerin überprüft werden sollte. Zu diesem Termin erschien der Zeuge S. im Beisein des Beklagten zu 1). Anschließend wurde bei der Beklagten zu 2) eine "Neue Anlagestrategie" entwickelt.

Am 11.2.2003 unterzeichnete die Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt in Geldanlagen unerfahren war, eine Beitrittserklärung als atypische stille Gesellschafterin an der A. Auto-Mobil AG & Co. KG (im Folgenden: A.) in der Anlagevariante "Classic" über eine Einmalanlage i.H.v. 9.200 EUR zzgl. eines Agios von 552 EUR und erteilte zugleich den Auftrag, den Gesamtbetrag von 9.752 EUR zum 1.3.2003 von ihrem Konto abzubuchen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Fotokopie des Zeichnungsscheins (GA I Bl. 7) verwiesen.

In den Jahren 2004 und 2005 erhielt die Klägerin aus der Anlage Ausschüttungen. Ab dem Jahr 2006 blieben die Ausschüttungen aus. Mit Schreiben vom 22.5.2007 (GA I Bl. 86 f.) teilte die A. der Klägerin mit, dass es ihr gelungen sei, den operativen Verlust zu halbieren, und kündigte für 2008 ein positives Ergebnis an. Mit Schreiben vom 2.7.2009 (GA I Bl. 80) teilte die Beklagte zu 2) der Klägerin mit, dass die A. vor der Insolvenz stehe und liquidiert werden solle. Mit Schreiben vom 21.1.2010 forderte die A. die Klägerin wegen eines negativen Kapitalkontos zur Rückzahlung der Ausschüttungen i.H.v. 1.686,67 EUR bis zum 8.2.2010 auf (GA I Bl. 81).

Sodann nahm die A. die Klägerin per Mahnbescheid auf Rückzahlung von Ausschüttungen i.H.v. 1.686,67 EUR in Anspruch. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin unter Anrechnung der ausgezahlten Ausschüttungen Schadensersatz aus der fehlgeschlagenen Anlage i.H.v. 5.001 EUR.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe den Beklagten zu 1) darauf hingewiesen, dass sie eine sichere Anlage für die Altersvorsorge suche. Der Beklagte zu 1) habe ihr am 11.2.2003 auf Provisionsbasis im Namen der Beklagten zu 2) eine Beteiligung an der A. vermittelt. Der Beklagte zu 1) habe ein besonderes wirtschaftliches Interesse am Vertragsschluss besessen und persönliches Vertrauen in Anspruch genommen. Er habe die Anlage als ohne jedes Risiko dargestellt. Der Emissionsprospekt sei ohne Erläuterung ausgehändigt worden.

Die Klägerin habe den Anlagebetrag und das Agio an die A. gezahlt. Die Anteile an der A. seien zwischenzeitlich wertlos. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass die Anleger nach der kick-back-Rechtsprechung des BGH auch über gezahlte Provisionen hätten aufgeklärt werden müssen. Hier müsse von einer Provision von mindestens 15 % ausgegangen werden. Eine Anrechnung von Steuervorteilen auf den Schaden komme nicht in Betracht, da auch die Schadensersatzleistung der Besteuerung unterliege. Schließlich habe die Klägerin die Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen erst durch das Schreiben der Beklagten zu 2) am 2.7.2009 erhalten.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 5.001 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung an einer atypischen stillen Gesellschaft mit Gewinn-und Verlustbeteiligung an der A. Auto Mobil AG & Co. KG, I.-Straße 4, H., gemäß Zeichnungsschein vom 11.2.2003 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 775,64 EUR zu zahlen.

Die Beklagten h...

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