Leitsatz (amtlich)
Krankheitszeichen, die für das Vorliegen von Chorea Huntington sprechen und ihre Bestätigung durch einen diagnostischen Gentest sind auf die Gesundheitsfragen anzugeben.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Beschluss vom 08.08.2011; Aktenzeichen 12 O 384/10) |
Tenor
1. Das Verfahren wird dem Senat zur Entscheidung übertragen.
2. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des LG Saarbrücken vom 8.8.2011 - 12 O 384/10 - wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
4. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 12.011,60 EUR festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit Ansprüche auf Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 1.278,22 EUR für die Zeit vom August 2009 bis Dezember 2010 geltend gemacht, außerdem die Feststellung beantragt, dass ein bei der Beklagten abgeschlossener Risikolebensversicherungsvertrag nebst Berufsunfähigkeitzusatzversicherung nicht durch Anfechtung vernichtet worden sei (Bl. 1, 91 d.A.). Der Vater und der Großvater des Klägers waren Träger eines Gens für die vererbliche neurodegenerative Gehirnerkrankung Morbus Huntington. Die frühere Lebensgefährtin des Klägers hatte eine Schwangerschaft nach intrauteriner Testung des Embryos mit dem Ergebnis einer Huntington-Diagnose abgebrochen (Bl. 58 d.A.).
Am 21.1.2000 informierte der Neurologe Dr. H. L. den Kläger über das Ergebnis eines genetischen Tests, wonach er Träger des Huntington-Gens sei (Bl. 3 d.A.). Zur Klärung der genauen Hintergründe der Untersuchung kam es in erster Instanz nicht mehr. Am 31.1.2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Erhöhung der Versicherungssumme eines seit August 1999 bestehenden Risikolebensversicherungsvertrags von 100.000 DM auf 200.000 DM und eine Ergänzung des Versicherungsvertrags um eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit einer versicherten monatlichen Rente von 2.500 DM. In der "Gesundheitserklärung der zu versichernden Person" (Bl. 71 d.A.) gab er auf die Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden in den letzten 10 Jahren eine Mandelentzündung an. Zu Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen in den letzten 10 Jahren trug er ein: "Zahnarzt Dr. P.". Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 17.3.2000 mit, eine Änderung des bestehenden Lebensversicherungsvertrags sei nicht möglich, der Antrag werde als Neuantrag bearbeitet und der ursprüngliche Vertrag im Fall der Annahme aufgelöst (Bl. 69 d.A.). Sie erbat ergänzende Auskünfte zu Zahnarztbehandlungen, woraufhin der Kläger erklärte, es habe sich um eine "normale Zahnbehandlung" behandelt (Bl. 54 d.A.). Der neue Vertrag wurde am 10.6.2000 policiert (Versicherungsschein Nr. 1 ..., Bl. 9 d.A.).
In einem Schreiben des Dr. L. vom 17.9.2003 (Bl. 105 d.A.) an das Versorgungsamt Soest ist von seit 1990 bestehenden Wesensauffälligkeiten des Klägers die Rede, ferner von einer damals im PET des Gehirns festgestellten Stoffwechselstörung und von am 17.9.1998 erstmals aufgetretenen Hyperkinesen; am 21.1.2000 habe eine Zusatzdiagnostik "Hinweise auf M. Huntington (SEP + Caudatum-Atrophie)" ergeben, und die eindeutige Diagnose sei durch einen Gentest bestätigt worden.
Der Kläger ist wegen Morbus Huntington seit dem Jahr 2006 erwerbsunfähig und bezieht eine gesetzliche Erwerbsunfähigkeitsrente (Bl. 95 d.A.).
In einem Arztbericht des Neurochirurgischen Rehabilitationszentrums Godeshöhe vom 18.5.2006 (Bl. 79 d.A.) ist in der Anamnese unter Hinweis auf "schwierige Anamnesebedingungen bei anosognomischem [?] Patienten mit deutlicher Dysarthrophonie", ausgeführt, Symptome in Form von Hyperkinesen und generalisierter Minderbelastbarkeit bestünden "soweit eruierbar [...] erst seit etwa fünf Jahren" (Bl. 80 d.A.).
Im Juli 2009 beantragte der Kläger - vertreten durch seine Schwester - bei der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeitzusatzversicherung. Im Rahmen der Leistungsprüfung teilte der Neurologe Dr. L. der Beklagten u.a. mit, zu Untersuchungszeitpunkten in den Jahren 1985 und 1990 hätten keine manifesten Symptome bestanden. Für das Datum 21.1.2000 war sodann unter "Beschwerden" von einer Bewegungsunruhe und einem beginnenden hirnorganischen Psychosyndrom sowie einer Verschlechterung des SEP die Rede, unter eingeleitete Therapie" wurde eine "Neuroprotektion" erwähnt. Die Frage nach einer Information des Patienten über die Diagnosen wurde mit "ja" (im Januar 2000) beantwortet (Schreiben vom 7.10.2009, Bl. 112 d.A.).
Die Beklagte erklärte die Anfechtung des Versicherungsvertrags wegen arglistiger Täuschung mit Schreiben vom 21.12.2009 (Bl. 28 d.A.). Zur Begründung berief sie sich auf unvollständige Angaben in der Gesundheitserklärung, vor allem im Hinblick auf den im Januar 2000 diagnostizierten und vom Kläger verschwiegenen Morbus Huntington (Bl. 29 d.A.; weiteres Schreiben vom 8.3.2010, Bl. 33 d.A.).
Der Kläger hat behauptet, zum Zeitpunkt der Antragstellung (noch) nicht erkrankt und deshalb da...