Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 52 Abs. 2 StPO i.V.m. § 1909 BGB kann eine Ergänzungspflegschaft für die Entscheidungsbefugnis über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts für einen Minderjährigen im Strafverfahren erst angeordnet werden, wenn die Aussagebereitschaft des Minderjährigen feststeht. Will das Familiengericht den Wirkungskreis der Ergänzungspflegschaft darüber hinaus erstrecken, so kann es dies nicht auf jene Vorschriften, sondern nur auf §§ 1629 Abs. 2 S. 3, § 1796 BGB gründen.
2. Vor der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft muss grundsätzlich dem davon betroffenen Sorgerechtsinhaber rechtliches Gehör gewährt werden.
Verfahrensgang
AG Saarbrücken (Beschluss vom 29.11.2010; Aktenzeichen 52 F 485/10 SO) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - in Saarbrücken vom 29.11.2010 - 52 F 485/10 SO - samt des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Familiengericht zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses.
2. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.
3. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
4. Der Beschwerdeführerin wird mit Wirkung vom 26.1.2011 für den zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin L. bewilligt.
Gründe
I. Die drei betroffenen Kinder V., geboren am ... August 1995, K., geboren am ... April 2000, und N. Arno, geboren am ... August 2003, sind - neben der nicht verfahrensbetroffenen volljährigen Tochter R. M. - aus einer Verbindung der Mutter mit dem Vater der Kinder, Herrn F. F., hervorgegangen. Die Eltern waren und sind nicht miteinander verheiratet. Sorgeerklärungen sind von den Eltern nicht abgegeben worden. V., K. und N. werden seit der Trennung der Eltern von der Mutter betreut, die am 9.6.2009 einen anderen Mann, Herrn E. F., geheiratet hat, mit dem sie zusammenlebt.
Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ermittelt gegen die Mutter und ihren Ehemann wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Familiengericht - Rechtspflegerin - nach Anhörung des Jugendamts durch den angefochtenen Beschluss vom 29.11.2010, auf den Bezug genommen wird, Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt, und zwar für den Wirkungskreis Vertretung der Kinder in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft 16 Js 294/10, Zustimmung "der" Untersuchung der Kinder nach § 81c StPO, Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht für die behandelnden Ärzte der Kinder, Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, Zustimmung zur Mitwirkung der Kinder bei der Erstattung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Glaubwürdigkeit, Aufenthaltsbestimmung in Bezug auf die angeführten Untersuchungshandlungen und Zeugenvernehmungen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht, ferner die Aussetzung der Vollziehung des angegriffenen Beschlusses im Wege einstweiliger Anordnung erstrebt. Sie sucht um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach.
Das Familiengericht hat der Beschwerde, zu der sich das Jugendamt nicht geäußert hat, mit Verfügung vom 18.2.2011 nicht abgeholfen.
Dem Senat haben die Akten des AG - Familiengericht - in Saarbrücken 39 F 250/09 SO und 39 F 279/09 UG samt EA Nr. I sowie die Akte 16 Js 294/10 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vorgelegen.
II. Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde - bezüglich der eine Nichtabhilfeentscheidung nicht veranlasst gewesen ist (§ 68 Abs. 1 S. 2 i.V.m. §§ 38 Abs. 1 S. 1, 111 Nr. 2, 151 Nr. 5 FamFG) - hat in der Sache vorläufigen Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Familiengericht. Denn das Verfahren des Familiengerichts leidet an wesentlichen Mängeln, für eine Entscheidung des Senats wären aufwendige Ermittlungen notwendig und die Mutter hat die Zurückverweisung beantragt (§ 69 Abs. 1 S. 3 FamFG).
Dabei kann dahinstehen, ob es der Entscheidung - deren Gründe sich in einer Paragraphenkette erschöpfen - bei den gegebenen Umständen nicht bereits an einer Begründung im Rechtssinne ermangelt (vgl. dazu OLG Saarbrücken vom 9.12.2010 - 6 WF 130/10 - m.w.N.).
Denn jedenfalls hat das Familiengericht seiner § 26 FamFG entspringenden Pflicht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt amtswegig zu ermitteln, nicht ansatzweise genügt. Gemäß § 52 Abs. 2 S. 1 StPO dürfen Minderjährige, die wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung haben, nur vernommen w...