Leitsatz (amtlich)

1. Das Übergehen eines Klageantrags rechtfertigt die Ablehnung eines Richters nicht, solange sich die im Urteil geäußerte Rechtsauffassung mit dem Parteivorbringen befasst und nicht völlig abwegig erscheint.

2. Umfang und Inhalt der dienstlichen Äußerung richten sich nach dem jeweils geltend gemachten Ablehnungsgrund. Stützt sich das Ablehnungsgesuch auf Rechtsverstöße bei der Urteilsfindung, kann sich der Richter auf eine kurze Stellungnahme beschränken.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Beschluss vom 12.06.2003; Aktenzeichen 3 O 430/02)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des LG vom 12.6.2003 – 3 O 430/02 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Der Gegenstandswert des Verfahrens der sofortigen Beschwerde wird auf 748.631,34 Euro festgesetzt.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung von Werklohn für Bauarbeiten an der Fischereihafenschleuse B. in Anspruch. Die Klageforderung beläuft sich im Zahlungsanspruch auf rund 3,2 Mio. Euro.

Am 8.10.1998 fanden zwischen den Parteien Verhandlungen über die Abrechnung von Massenmehrungen statt, an deren Ende sich die Parteien dahingehend einigten, dass mit einer pauschalen Auftragserhöhung von 680.000 DM netto und einer Zahlung von netto 700.000 DM alle gegenseitigen Forderungen abgegolten seien. Mit Schreiben vom 5.10.1999 erklärte die Klägerin die Anfechtung dieser Einigung.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30.1.2003 (Bl. 200–202) hat der Vorsitzende Richter am LG X. als Einzelrichter die Wirksamkeit der Vereinbarung vom 8.10.1998 mit den Parteien erörtert und den Vergleichvorschlag unterbreitet, dass alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Rechtsstreit gegen eine Zahlung von 300.000 Euro abgegolten sein sollten. Das Gericht legte den Parteienvertretern nahe, den gerichtlichen Vergleichsvorschlag mit ihren Parteien zu besprechen. Schließlich wurde der Klägerin ein Schriftsatznachlass von sechs Wochen gewährt.

Mit Schriftsatz vom 10.2.2003 hat die Klägerin den VorsRiLG X. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und beanstandet, der Richter habe sich unter Vorwegnahme einer gebotenen Beweisaufnahme den Vortrag der Beklagten zum Verlauf der Verhandlungen vom 8.10.1998 zu eigen gemacht. Auch habe er sich bei seinem Vergleichsvorschlag von sachfremden Erwägungen leiten lassen.

Das LG hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 11.2.2003 zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Klägerin hatte keinen Erfolg (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 28.3.2003 – 5 W 59/03–12). Nachdem das LG die Klage mit Urt. v. 10.4.2003 abgewiesen hat, hat die Klägerin Gegenvorstellung gegen die Zurückweisung des Befangenheitsantrags erhoben. Auch dieser Rechtsbehelf blieb ohne Erfolg (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 6.5.2003). Dies nahm die Klägerin zum Anlass, den VorsRiLG erneut wegen Befangenheit abzulehnen. Die Klägerin hat hierzu die Auffassung vertreten, die Entscheidung belege, dass der Richter eine falsche dienstliche Äußerung abgegeben habe. Das Urteil belege außerdem, dass der Richter über jedes vernünftige Maß hinaus an seiner falschen Rechtsauffassung festhalte. So habe er insb. im Urteil keine Ausführungen zum Klageantrag zu 2) gemacht. Schließlich stelle die dienstliche Äußerung des Richters vom 3.6.2003 (Bl. 364 d.A.) einen eigenständigen Ablehnungsgrund dar.

Mit Beschluss vom 12.6.2003 (Bl. 377 ff. d.A.), der Klägerin zugestellt am 17.6.2003, hat das LG das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die am 1.7.2003 eingegangene sofortige Beschwerde der Klägerin. Das LG hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen (Beschl. v. 7.7.2003; Bl. 401 d.A).

II. 1. Die gem. § 46 Abs. 2, § 567 Abs. 1, § 569 ZPO zulässige, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist nicht begründet, da die Besorgnis der Befangenheit nicht besteht.

a) Wegen Besorgnis der Befangenheit kann ein Richter gem. § 42 Abs. 2 ZPO abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der die ablehnende Partei bei vernünftiger Betrachtung befürchten lassen muss, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen ggü. und werde deshalb nicht unparteiisch entscheiden. Hierbei stellen Verfahrensfehler oder materiellrechtlich fehlerhafte Entscheidungen grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund dar. Denn das Ablehnungsverfahren dient nicht dazu, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Demgemäß ist eine Ablehnung wegen einer fehlerhaften Entscheidung erst dann gerechtfertigt, wenn ein festgestellter Rechtsfehler auf einer unsachlichen Einstellung des Richters beruht oder die Entscheidung so grob fehlerhaft ist, dass sie das Gepräge eines willkürlichen Handelns trägt (st. Rspr. OLG Köln OLGReport Köln 2002, 85; OLG Frankfurt v. 26.11.1999 – 13 W 66/99, OLGReport Frankfurt 2000, 36; OLG Oldenburg FamRZ 1992, 193; BayObLG DRiZ 1977, 245; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 42 Rz. 24; Feiber in Münchkomm/ZPO, 2. Aufl., § 42 Rz 28 ff.). Diese Grenze wird im...

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