Leitsatz (amtlich)

1. Dem Antragsgegner kann Prozesskostenhilfe auch dann bewilligt werden, wenn das Gericht über den Antrag auf Anordnung des selbstständigen Beweisverfahrens bereits positiv entschieden hat.

2. Die Eigenart und die inhaltliche Bedeutung des selbstständigen Beweisverfahrens für die beteiligten Parteien zwingt zu einer einschränkenden Interpretation des Begriffes der erfolgversprechenden Rechtsverteidigung, wie § 114 ZPO ihn versteht. Diese kann in Anlehnung an das Erfordernis einer berechtigten Interessenverfolgung auf Antragstellerseite nur in einer berechtigten Interessenverteidigung des Antragsgegners bestehen.

3. Die Rechtsverteidigung im selbstständigen Beweisverfahren ist zumindest dann hinreichend erfolgversprechend, wenn der Antragsgegner ein berechtigtes Interesse daran hat, bei den Feststellungen durch einen Sachverständigen einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen bzw. wenn eine Anwaltsbeiordnung nach § 121 Abs. 1 oder Abs. 2 ZPO angezeigt ist.

 

Normenkette

ZPO §§ 114, 485

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Aktenzeichen 12 OH 11/02)

 

Tatbestand

Das LG hat in dem vorliegenden selbstständigen Beweisverfahren am 23.7.2002 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beschlossen zu der Frage, ob und seit wann das Dach des (von den Antragstellern bewohnten) Anwesens … in D. näher bezeichnete Mängel aufweist. Der Sachverständige soll ferner ermitteln, welche Kosten für eine Reparatur bzw. eine Neuerrichtung des Daches anfallen.

Der Antragsgegner hat am 5.2.2003 beantragt, ihm für seine Rechtsverteidigung Prozesskostenhilfe zu gewähren. Das LG hat das Prozesskostenhilfegesuch zurückgewiesen mit der Begründung, nach Entscheidung über den Beweissicherungsantrag könne einem Antragsgegner grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Die erforderliche Vertretung durch einen Rechtsanwalt sei bereits erfolgt, durch das weitere selbstständige Beweisverfahren entstünden dem Antragsgegner keine Kosten, für die Prozesskostenhilfe gewährt werden müsste.

 

Entscheidungsgründe

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Entgegen der Auffassung des LG kann dem Antragsgegner Prozesskostenhilfe auch dann bewilligt werden, wenn das Gericht über den Antrag auf Anordnung des selbstständigen Beweisverfahrens bereits positiv entschieden hat.

1. Prozesskostenhilfe kann nach h.M., der der Senat folgt, auch im selbstständigen Beweisverfahren bewilligt werden (vgl. die Nachweise bei Zöller/Herget, ZPO, 23. Aufl., § 490 Rz. 5). Die rechtlichen Vorschriften für die Durchführung eines Verfahrens vor den Gerichten gelten für alle Bürger in gleicher Weise; es gilt gleiches Recht, gleichgültig ob eine Partei vermögend oder arm ist. Deshalb gibt das Sozial- und Rechtsstaatsprinzip und der Gleichheitsgrundsatz dem Gesetzgeber auf, dafür Sorge zu tragen, dass auch die arme Partei in die Lage versetzt wird, ihre Belange in einer dem Gleichheitsgebot gemäßen Weise im Rechtsstreit geltend zu machen. Das ist durch die Prozesskostenhilfe geschehen (BVerfGE 35, 348 [355]). Dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht auf Erkenntnisverfahren beschränkt sein kann, liegt deshalb auf der Hand: Das grundsätzliche Gebot, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen, würde durch eine derartige Beschränkung auf das Erkenntnisverfahren unterlaufen.

Aus der Formulierung der §§ 114 ff. ZPO lässt sich Gegenteiliges nicht herleiten: Die Beschreibung der staatlichen Leistung als „Prozesskostenhilfe” in § 114 ZPO dient in erster Linie der Abgrenzung von der Beratungshilfe, die für die Wahrnehmung von Rechten „außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens” in Betracht kommt (OLG Köln OLGReport Köln 1995, 110 [111] m.w.N.).

2. Kommt Bewilligung von Prozesskostenhilfe außer für das Erkenntnisverfahren auch für sonstige Verfahren vor deutschen staatlichen Gerichten in Betracht, so sind bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe die Besonderheiten zu berücksichtigen, die sich aus den jeweiligen Verfahren ergeben. Denn die §§ 114 ff. ZPO gelten, wie ihr Wortlaut zeigt, uneingeschränkt nur für das streitige Erkenntnisverfahren, da sie auf einen kontradiktorischen Erfolgsbegriff abstellen:

Im Erkenntnisverfahren hat eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Erfolgsaussicht, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers auf Grund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht mindestens von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (BGH v. 21.1.1994 – V ZR 238/92, MDR 1994, 479 = NJW 1994, 1161; OLG Köln MDR 1997, 105 f.). Es muss also auf Grund der summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich sein, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird. Dies gilt auch, wenn der Beklagte zur Abwehr der Klage Prozesskostenhilfe beantragt und sein Vorbringen zur Beweiserhebung über den Klagevortrag zwingt. Entsprechend bestehen Erfolgsaussichten de...

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