Leitsatz (amtlich)
1. Die ärztliche Feststellung der Invalidität muss keine Aussage dazu enthalten, ob die Invalidität auch binnen der im Vertrag vorgesehenen Frist eingetreten ist.
2. Steht als erster unfallbedingter Körperschaden kein eigenständiger Strukturschaden in Rede, sondern nur die Aktivierung oder Akzentuierung einer vorbestehenden Erkrankung (hier: Arthrose), so ist der Nachweis einer unfallbedingten Invalidität erst geführt, wenn die Kausalität des Unfallereignisses für die Aktivierung oder Akzentuierung im Sinne des § 286 ZPO erwiesen ist.
Normenkette
AUB 2010 Nr. 2.1.1.1; VVG § 180; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 17.11.2020; Aktenzeichen 14 O 309/19) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. November 2020 - 14 O 309/19 - wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 49.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand der Klage sind Ansprüche des Klägers aus einem Unfallversicherungsvertrag.
Der Kläger hält bei der Beklagten seit dem 4. September 2015 einen von der Beklagten als "Sorglos-Unfallversicherung" bezeichneten Unfallversicherungsvertrag. Im Falle der Invalidität beträgt die (Grund-)Versicherungssumme 100.000 Euro mit "besonders erhöhter progressiver Invaliditätsstaffel bis 500 %" (Versicherungsschein als Anlage K1 im Anlagenband zur Klageschrift). Vertragsbestandteil sind u. a. die "Bedingungen und Tarifbestimmungen zur Sorglos-Unfallversicherung (BTU)" der Beklagten (Anlage E1, Bl. 38 ff. d. A.); hierzu gehören die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2011). Nach Nr. 2.1.2.1 AUB 2011 erbringt die Beklagte bei unfallbedingter Invalidität eine Kapitalleistung. Ein Unfall liegt nach Nr. 1.3 AUB 2011 vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Invalidität im Sinne der Bedingungen setzt gemäß Nr. 2.1.1.1 AUB 2011 voraus, dass die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person dauerhaft beeinträchtigt ist, wobei eine Beeinträchtigung dann dauerhaft ist, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Voraussetzung für den Anspruch auf Invaliditätsleistung ist weiter, dass die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und bei der Beklagten geltend gemacht wird (Nr. 2.1.1.1 AUB 2011). Für den Verlust oder die vollständige Funktionsunfähigkeit einzelner Körperteile und Sinnesorgane sind bestimmte Invaliditätsgrade festgelegt (Gliedertaxe, Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2011); für eine Hand beträgt dieser Grad 55 %. Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes (Nr. 2.1.2.2.1 AUB 2011, letzter Satz). Wenn betroffene Körperteile oder Sinnesorgane oder deren Funktionen bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt waren, wird der Invaliditätsgrad um die nach denselben Regeln zu bemessende Vorinvalidität gemindert (Nr. 2.1.2.2.3 AUB 2011). Haben Krankheiten oder Gebrechen bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt, mindert sich im Falle der Invalidität der Prozentsatz des Invaliditätsgrades entsprechend dem Anteil der Krankheit oder des Gebrechens (Nr. 3 AUB 2011). Gemäß Nr. 1 von Abschnitt Q der BTU (Bl. 49 d. A.) ist in Abänderung von Ziffer 2.1.1.1 AUB 2011 die Frist zur Anmeldung der Invalidität auf 18 Monate - vom Unfalltag gerechnet - erweitert. Nach Nr. 2 dieses Abschnitts gilt abweichend von der Gliedertaxe der AUB 2011 u. a. ein Handwert von 70 %, und Nr. 4 bestimmt, dass bei Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen "an dem Unfallereignis" die Leistung erst dann gekürzt wird, wenn der Anteil der Krankheit oder des Gebrechens mindestens 40 % beträgt.
Unter dem 22. September 2016 meldete der Kläger der Beklagten einen Unfall vom 22. Januar 2016 und gab an, gegen 23.30 Uhr an diesem Tag auf dem Bahnsteig der Saarbahnhaltestelle R. wegen "Blitzeis" ausgerutscht und auf die rechte Hand gestürzt zu sein. Als daraus resultierende Verletzung gab er "Bänderriß an Handwurzel" an (Anlage K3 im Anlagenband zur Klageschrift). Die Beklagte bat den Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 2016 (Anlage K7 im Anlagenband zur Klageschrift) um "schriftliche, fristgemäße Benachrichtigung", falls aufgrund des Unfalls Dauerfolgen verbleiben sollten. Die Beeinträchtigung (Invalidität) müsse innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerh...