Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfolgreiche Arglistanfechtung eines Lebensversicherungsvertrags wegen unrichtig beantworteter Gesundheitsfragen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unter Verstoß gegen eine zeitlich begrenzte Schweigepflichtentbindung erhobene Gesundheitsdaten dürfen nicht schon deshalb verwertet werden, weil sie unstreitig sind. Ihre Verwertbarkeit ergibt sich jedoch aufgrund einer Güterabwägung jedenfalls dann, wenn der Versicherungsnehmer Vorerkrankungen arglistig verschwiegen hat.

2. Das Recht zur Freigabe von Gesundheitsdaten geht nicht auf Erben oder Angehörige über.

3. Der Wille zur Täuschung kann nur dann unter Berufung auf Scham erfolgreich in Zweifel gezogen werden, wenn mit ihm zugleich die Annahme einhergeht, der verschwiegene Umstand sei für die Vertragsabschlussbereitschaft des Versicherers nicht wirklich maßgeblich. Davon kann bei einem Suizidversuch mit anschließender stationärer Behandlung nicht ausgegangen werden.

 

Verfahrensgang

LG Saarbrücken (Urteil vom 22.12.2008; Aktenzeichen 12 O 244/08)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 22.12.2008 verkündete Urteil des LG Saarbrücken - Az.: 12 O 244/08 - wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000 EUR festgesetzt.

V. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

Die Klägerin macht Ansprüche geltend als Bezugsberechtigte aus einem Lebensversicherungsvertrag (Versicherungsschein Nr. 4373573, Bl. 6 d.A.), den ihr Ehemann bei der Beklagten unterhielt und dem die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Risikolebensversicherung zugrunde lagen (Bl. 9 d.A.).

Der Versicherungsnehmer beantragte den Abschluss des Vertrags unter dem 6.10.2003. Die Beklagte stellte im Antragsformular in der "Gesundheitserklärung der zu versichernden Person" unter Nr. 7 die Frage (Bl. 45 d.A.):

"Litten Sie in den letzten 5 Jahren oder leiden Sie zur Zeit an Krankheiten, Störungen oder Beschwerden (Herz oder Kreislauf, Atmungs-, Verdauungs-, Harn- oder Geschlechtsorgane, Sinnesorgane, Leber, Wirbelsäule, Bewegungsapparat, Haut, Gehirn, Nerven, Psyche, Blut, Stoffwechsel, Tumoren, Lymphsystem, hormonelle Veränderungen, Infektionen, Suchtleiden, Unfallfolgen, körperliche Behinderungen)? Wann, woran, wie lange, Folgen?"

Der Versicherungsnehmer kreuzte die Antwort "nein" an.

Unter Nr. 8 der Gesundheitserklärung beantwortete er die Frage nach Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen in den letzten fünf Jahren mit: "Stadtkrankenhaus Soest Fahrradunfall". Als über seine "Gesundheitsverhältnisse am besten unterrichtet" benannte er seinen Hausarzt Dr. A. (Bl. 45, 49 d.A.). Auf Nachfrage der Beklagten zum Grund des Krankenhausaufenthalts sowie zu Folgen des Fahrradunfalls ergänzte der Antragsteller seinen Antrag um die Angabe "Fraktur eines Daumens", "Verlust einiger Zähne, keinerlei Folgeschäden" (Bl. 48 d.A.). Er verstarb am 21.11.2007 infolge eines metastasierenden Melanoms. Im Rahmen der Leistungsprüfung forderte die Beklagte ein Todesfallattest beim Marienkrankenhaus S. an. In der von Frau Dr. S. erstellten Bescheinigung war in der Anamnese ein - unstreitig nicht todesursächlich gewordener - im Jahr 1996 diagnostizierter Morbus Crohn erwähnt, der zur Dauerimmunsuppression zunächst mit Corticosteroiden, seit 2004 mit Methotrexat (MTX) behandelt wurde (Bl. 50 d.A.). Das Versorgungsamt S. hatte dem Antragsteller - nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin wegen dieser Erkrankung - einen Behinderungsgrad von 70 % seit September 1996 attestiert (Bl. 62, 65 d.A.). Schon vor 1996 war ein Grad der Behinderung anerkannt gewesen (80 % bis September 1990, 100 % bis September 1996, Bl. 65 d.A.).

Mit Schreiben vom 19.2.2008 (Bl. 12 d.A.) lehnte die Beklagte ab, Versicherungsleistungen zu erbringen, und erklärte die Anfechtung gem. § 123 BGB. Zur Begründung führte sie aus, dass der Antragsteller trotz des seit 1996 bestehenden Morbus Crohn in der Gesundheitserklärung keine Krankheiten, Störungen oder Beschwerden - u.a. der Verdauungsorgane - angegeben und als ärztliche Behandlung nur den Krankenhausaufenthalt nach einem Fahrradunfall erwähnt habe (Bl. 13 d.A.).

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, aus der bewusst unrichtigen Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand könne nicht ohne weiteres auf die Absicht geschlossen werden, den Versicherer zu täuschen und ihn zur Annahme eines Versicherungsantrags zu bewegen, um - gegebenenfalls zu einer günstigeren Prämie - Versicherungsschutz zu erlangen (Bl. 2/3 d.A.). Sie gehe davon aus, dass ihr Ehemann auf den Morbus Crohn nicht hingewiesen habe, weil er durch die medikamentöse Behandlung - von der Beklagten bestritten - keine aktuellen Beschwerden gehabt habe und nicht auf den Gedanken gekommen sei, dass dies...

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