Leitsatz (amtlich)
Zur Prospekthaftung wegen irreführender Angaben im Verkaufsprospekt bei der Zeichnung von Genussrechten an einem in einem Übungsgebiet der Bundeswehr geplanten und nie behördlich genehmigten Offshore-Windpark
Normenkette
AktG AUT § 239 ff.; EGV 44/2001 Art. 7 Nrn. 1-2, Art. 18 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 864/2007 Art. 4 Abs. 1; VermAnlG § 20 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 23.06.2021; Aktenzeichen 1 O 443/17) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 23.06.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (1 O 443/17) wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass Ziffer 1 des Tenors des angefochtenen Urteils wie folgt gefasst wird:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger einen Betrag in Höhe von 78.390,08 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2018 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte aus der zur Insolvenztabelle AG M. -X XX XXX/XX - angemeldeten Forderung in Höhe von 80.000 EUR.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Kläger machen Schadensersatzansprüche aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung wegen einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage geltend.
Die Kläger zeichneten am 12.07.2013 Genussrechte an der E. AG, nachfolgend E. AG (Deutschland) genannt, in Höhe von 20.000 EUR und 60.000 EUR. Die Beklagte ist alleinige Gründungsgesellschafterin und einzige Gesellschafterin der E. AG (Deutschland) und zugleich Konzernmuttergesellschaft ohne operativen Geschäftsbetrieb. Sie war bis 2019 eine Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht mit Sitz in W.. Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der E. AG (Deutschland), Herr M. P. B., war zugleich Vorstand der Beklagten. Im Jahr 2019 wurde die AG formwechselnd in die im Rubrum näher bezeichnete GmbH umgewandelt.
Die Genussrechte wurden von der E. AG (Deutschland) auf der Grundlage eines Verkaufsprospekts vom 22.10.2012 (Anlage K6, Blatt 32-83) nebst den Nachträgen Nr. 1 (17.12.2012), Nr. 2 (08.02.2013 bzw. 15.02.2013) und Nr. 3 (28.05.2013) aus-gegeben (Anlage K7, Blatt 84-90). Gegenstand der Genussrechte war das Betreiben eines bereits seit 2003 bestehenden Biomasseheizkraftwerks in P. und die geplante Errichtung und Betreibung eines O.-Windparks in der Nordsee ("O. S."). Das Genussrecht bot den Anlegern eine jährliche Verzinsung von 6 % und ab dem Geschäftsjahr 2014 eine zusätzliche gewinnabhängige Verzinsung. Das Heizkraftwerk wurde von der E. BE GmbH & Co KG betrieben, der Windpark wurde von der O. S. GmbH geplant und projektiert. Beide sind 100%ige Tochtergesellschaften der Emittentin.
Der O.-Windpark war in einem Übungsgebiet der Bundeswehr geplant. Die Genehmigung wurde bereits im Jahr 2008, damals noch durch eine O. P. GmbH, beantragt. Seitdem weigerte sich das Bundesministerium der Verteidigung, das Seegebiet im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens freizugeben, weil Marine und Luftwaffe in diesem Gebiet Übungen abhielten. Zuständige Genehmigungsbehörde war und ist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Im Jahr 2009 erklärte das Wehrverwaltungsamt Nord schriftlich seine Verweigerungshaltung gegenüber dem BSH. Im Jahr 2010 wurde das Projekt auf die neu gegründete O. S. GmbH übertragen.
Die Beklagte wurde als Aktiengesellschaft nach österreichischem Recht im Juni 2012 gegründet, die E. AG (Deutschland) im Juli 2012. Letztere erwarb ebenfalls im Jahr 2012 von einer E. H. GmbH die Rechte an dem Windparkprojekt O. S. und gab die streitgegenständlichen Genussrechte im Gesamtbetrag von 38 Millionen Euro, eingeteilt in 380.000 Stück mit einem Nennbetrag von jeweils 100 EUR, an eine Vielzahl von Anlegern aus.
Eine Genehmigung des Windparks ist bis heute nicht erteilt worden. Das Planfeststellungsverfahren endete zum 01.01.2017.
In dem Verkaufsprospekt vom 22.10.2012 heißt es zum O. S. u.a.:
"Das Anlageobjekt O.-Windpark verfügt derzeit noch nicht über eine behördliche Genehmigung. Wird dem Antrag auf Erteilung der behördlichen Genehmigung nicht, nur teilweise und/oder zeitlich verzögert und/oder mit Auflagen stattgegeben, so kann dies dazu führen, dass sich die Entwicklung verzögert und der geplante Verkauf nicht, nur verzögert oder nur zu einem geringeren Preis erfolgen kann. Das bedeutet für den Anleger, dass die Verzinsung ganz oder teilweise ausfallen oder sich verringern/verspäten kann und dass darüber hinaus die Rückzahlung ganz oder teilweise verspätet oder gar nicht erfolgen kann" (Seite 8).
"Die Emittentin geht davon aus, dass die laufenden Überschüsse aus dem Betrieb des Kraftwerks zur Deckung der Grundverzinsung...