Leitsatz (amtlich)
1. Zur Leistungsfreiheit des Kaskoversicherers wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit durch vorzeitiges Verlassen der Unfallstelle.
2. Die Behauptung des Versicherungsnehmers, er habe beim Verlassen der Unfallstelle an einem "posttraumatischen psychischen Schock mit Erinnerungslücken" gelitten und daher seine Aufklärungsobliegenheit nicht schuldhaft verletzt, ist nicht erwiesen, wenn ausreichend gesicherte Erkenntnisse zu seinem damaligen physischen und psychischen Zustand fehlen und die - gebotene - Würdigung der Gesamtumstände einen solchen Schluss nicht nahelegen.
Normenkette
AKB Nr. E. 1.2; AKB Nr. E. 7.1; BGB § 827 S. 1; StGB § 142; VVG § 28 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 08.09.2023; Aktenzeichen 14 O 402/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 8. September 2023 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 402/20 - abgeändert:
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger zur Last.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Eintrittspflicht der Beklagten aus einer Fahrzeug-Vollkaskoversicherung, die der Kläger bei der Beklagten seit dem 9. März 2015 für das Fahrzeug Audi Typ 8J/ TTS Coupé S tronic mit dem amtlichen Kennzeichen xxx und der Fahrzeug-Identifikationsnummer xxx unterhielt (Versicherungsschein Nr. xxx, Bl. 37 ff. GA-I). Dem Vertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung, Stand: 1. Januar 2015 (AKB) zugrunde (BI. 40 ff. GA-I).
Der Kläger erlitt mit dem versicherten Fahrzeug am 11. März 2020 gegen 19h58 Uhr auf der Autobahn A6 in Höhe der Anschlussstelle Homburg (Saar) in Fahrtrichtung Waldmohr einen Unfall. Im Rahmen des gegen ihn u.a. wegen des Verdachts der Unfallflucht und der Gefährdung des Straßenverkehrs eingeleiteten Ermittlungsverfahrens (Staatsanwaltschaft Saarbrücken, Az.: 66 Js 543/20) wurde festgestellt, dass der Kläger aufgrund unangepasster Geschwindigkeit und ungenügenden Sicherheitsabstandes auf ein Fahrzeug aufgefahren war, die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und mit der Mittelleitplanke kollidierte, wo das Fahrzeug erheblich beschädigt zum Stehen kam. Ein weiteres Fahrzeug geriet bei dem Versuch, der Unfallstelle auszuweichen, ins Schleudern; die Insassen der beteiligten Fahrzeuge wurden leicht verletzt. Der Kläger verließ die Unfallstelle nach dem Unfall und wurde weder von den Geschädigten noch von der Polizei dort angetroffen. Im Fahrzeug des Klägers wurden ein leerer Bierkasten und eine leere Tablettenpackung im Fußraum aufgefunden, im Bereich der Mittelleitplanke ein weiterer leerer Bierkasten und darin die Geldbörse des Klägers. An seiner Wohnanschrift konnte der Kläger nicht angetroffen werden. Ausweislich eines "ärztlichen Befundberichts" (Bl. 92 GA-I) wurde der Kläger am 12. März 2020 um 8h45 in der am Wohnort des Klägers ansässigen Praxis des Facharztes für Allgemeinmedizin, Chirotherapie, Neuraltherapie, Akupunktur Dr. med. A. vorstellig, dem gegenüber er u.a. angab, am Vorabend gegen 19h30 in einen Auffahrunfall als angeschnallter Kfz-Führer auf der A6 in Höhe Tankstelle Waldmohr verwickelt worden und "so geschockt" gewesen zu sein, dass er "panikartig aus dem Fahrzeug geflüchtet und querfeldein gelaufen" sei; danach könne er sich "an nichts mehr erinnern, bis er heute Morgen in der Wohnung seiner Freundin aufgewacht" sei; laut deren Aussage habe er sich mehrmals übergeben müssen. Daran anschließend heißt es:
"Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich in Begleitung seiner Tochter ein exzitierter und verängstigter Patient. Er ist bewusstseinsklar und bietet bis auf die berichtete posttraumatische Erinnerungslücke keine neurologischen Auffälligkeiten. Am linken radialen Handgelenk befindet sich eine symptomatische hämatomatöse Schwellung, im Verlauf der Sicherheitsgurtanlage gibt der Patient einen leichten Druckschmerz an, Prellmarken sind nicht zu erkennen, Cor, Pulmo und Thorax präsentieren sich unauffällig.
Diagnosen: posttraumatischer psychischer Schock mit Erinnerungslücken, linke Handgelenkprellung, Thoraxprellung."
Gegen den Kläger erging am 1. Juli 2020 ein - inzwischen rechtskräftiger - Strafbefehl, mit dem wegen fahrlässiger Körperverletzung in 2 tateinheitlichen Fällen eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen und ein Fahrverbot von 1 Monat gegen ihn verhängt wurden. Der Kläger zeigte der Beklagten den Schaden mit - nicht unterzeichnetem - Schadensanzeige-Formular an (Anlage B3 = Bl. 68 ff. GA-I); darin war auf die Frage "Wer hat Ihrer Meinung nach Schuld an dem Unfall": "Fahrerin zu 02 lt. E-Akte wegen Spurwechsel" angegeben worden. Ein von der Beklagten beauftragtes Schadensgutachten der DEKRA Automobil GmbH vom 28. Mai 2020 weist für das klägerische Fahrzeug Reparaturkosten in Höhe von 27.731,09 Euro (netto), einen Wiederbeschaffungswert (einschl. Mw...