Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung während der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens. Restschuldbefreiung tritt erst mit Rechtskraft der stattgebenden Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung ein
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens darf das FA die im Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldeten Steuerforderungen, soweit sie nicht durch eine Quote erfüllt wurden, bis zur Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung wieder unbeschränkt geltend machen und gegen neu entstehende Steuererstattungsansprüche aufrechnen.
2. Erst ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusses über die Erteilung der Restschuldbefreiung können die unbefriedigt gebliebenen Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nicht mehr durchsetzen.
3. Selbst wenn die Vorschrift des § 294 InsO regelt, dass auch in der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens die Insolvenzgläubiger grundsätzlich gleichbehandelt werden sollen, ergibt sich daraus jedenfalls nicht, dass auch Aufrechnungen grundsätzlich ausgeschlossen sind.
Normenkette
AO § 226; BGB §§ 387, 394; InsO §§ 201, 291, 294, 301
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kostend des Verfahrens fallen dem Kläger zur Last.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Abrechnungsbescheid vom 22. August 2008.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers am 6. Februar 2003 meldete der Beklagte u.a. rückständige Umsatzsteuern des Jahres 1994 und Vollstreckungskosten zur Insolvenztabelle an. Mit Beschluss vom 10. Juni 2004 wurde dem Kläger Restschuldbefreiung angekündigt und mit Beschluss vom 21. Juli 2004 das Insolvenzverfahren aufgehoben. Die Restschuldbefreiungsphase endete am 6. Februar 2008. Mit Beschluss vom 25. August 2008 wurde dem Kläger Restschuldbefreiung erteilt.
Mit Umbuchungsmitteilung vom 3. April 2008 erklärte der Beklagte die Aufrechnung gegen den vom Kläger mit Umsatzsteuervoranmeldung für 2007 geltend gemachten Erstattungsanspruch in Höhe von 610,36 EUR mit Abgabenforderungen aus den Festsetzungen zur Umsatzsteuer des Jahres 1994 und stellte mit Abrechnungsbescheid vom 22. August 2008 das Erlöschen des Guthabens fest.
Den hiergegen gerichteten Einspruch wies der Beklagte mit Entscheidung vom 15. Juli 2009 als unbegründet zurück.
Mit seiner Klage trägt der Kläger im Wesentlichen vor, der Beklagte habe nach dem 6. Februar 2008 nicht mehr aufrechnen dürfen, da zu diesem Zeitpunkt die Wohlverhaltensphase geendet habe. Die Aufrechnung sei unzulässig. Der wirtschaftliche Neuanfang, der durch die Erteilung der Restschuldbefreiung ermöglicht werden soll, werde gefährdet.
Der Kläger beantragt,
den Abrechnungsbescheid vom 22. August 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 15. Juli 2009 insoweit zu ändern, dass zu seinen Gunsten ein Umsatzsteuererstattungsanspruch 2007 in Höhe von 610,36 EUR festgestellt werde und keine Aufrechnung mit Abgabenforderungen aus den Festsetzungen zur Umsatzsteuer des Jahres 1994 sowie das Erlöschen des Guthabens festgestellt werde.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich dazu im Wesentlichen auf die Ausführungen der Einspruchsentscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte durfte mit seiner Gegenforderung gegen die Forderung des Klägers aus der Umsatzsteuervoranmeldung für das Kalenderjahr 2007 aufrechnen. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung des Beklagten gegen einen Steuererstattungsanspruch des Antragstellers nach § 226 Abs. 1 AO i.V.m. § 387 BGB liegen unstreitig vor.
Die im Insolvenzverfahren zur Tabelle angemeldeten Umsatzsteuerforderungen konnte der Beklagte, nachdem das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 21. Juli 2004 gehoben worden war, wieder unbeschränkt geltend machen (§ 201 Abs. 1 InsO). Die angemeldeten Forderungen standen, soweit sie nicht durch eine Quote erfüllt worden waren, zur Aufrechnung zur Verfügung. Die Vorschriften über das Aufrechnungsverbot gegenüber unpfändbaren Forderungen i.S.v. § 394 BGB (vgl. Palandt, BGB-Kommentar, § 394 Rdnr. 3) und über die Restschuldbefreiung stehen dem nicht entgegen (vgl. § 201 Abs. 3 InsO).
Eine Beschränkung der Aufrechnung ist nicht ersichtlich. Die Aufrechnungslage bestand bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung am 25. August 2008 fort. Die Ankündigung des Insolvenzgerichts gemäß § 291 Abs. 1 InsO vom 10. Juni 2004, der Kläger erlange nach Ablauf der Wohlverhaltensphase Restschuldbefreiung, wenn er seine Obliegenheiten erfülle, hat nicht zur Restschuldbefreiung am 6. Februar 2008 geführt. Restschuldbefreiung tritt erst mit Rechtskraft der stattgebenden Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung ein (BFH, BFH/NV 2010, 950; Münchener Kommentar zur InsO, § 300 Rdnr. 6 und Rdnr. 37; so wohl auch Uhlenbruck, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 300 Rdnr. 29). Erst ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft des Beschlusse...