rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Bei Kostenerstattung für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einem erfolgreichen Kindergeld-Einspruchsverfahren keine Anrechnung einer hälftigen Geschäftsgebühr für die vorherige Tätigkeit des Anwalts im Kindergeldantragsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
Hat ein Rechtsanwalt für den Steuerpflichtigen Kindergeld beantragt und nach zunächst nur teilweiser Kindergeldbewilligung durch die Familienkasse im Einspruchsverfahren die vollständige Kindergeldbewilligung erreicht, und ist die Zuziehung des Rechtsanwalts zu dem erfolgreichen Einspruchsverfahren für notwendig erachtet worden, bestimmt sich die Höhe der erstattungsfähigen Vergütung gem. § 2 Abs. 2 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (VV-RVG), wobei auf die 1,3-fache Geschäftsgebühr gem. §§ 13, 14 RVG i. V. m. Nr. 2300 VV-RVG nicht eine hälftige Geschäftsgebühr für das Kindergeldantragsverfahren nach der Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen ist (gegen Sozialgericht Gießen v. 12.12.2014, S 29 AS 460/14).
Normenkette
EStG § 77 Abs. 1-2; RVG § 2 Abs. 2, §§ 13-14, 15a Abs. 2; RVG Anl. 1 Nr. 2300; VV-RVG Nr. 2300; VV-RVG Vorbemerkung 2.3 Abs. 4
Tenor
1. Der Kostenfestsetzungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung wird dahingehend geändert, dass dem Kläger weitere Kosten in Höhe von EUR 34,81 erstattet werden.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Kostenerstattungsanspruches im Einspruchsverfahren.
Der Kläger stellte im September 2013, vertreten durch seinen jetzigen Rechtsanwalt, einen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld. Mit Bescheid vom … 2014 bewilligte die Beklagte Differenzkindergeld. Auf den Einspruch des Klägervertreters bewilligte die Beklagte Kindergeld in voller Höhe. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten erkannte sie für notwendig. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom … 2015 erstattungsfähige Kosten in Höhe von EUR 48,73. Auf die Geschäftsgebühr rechnete sie aus dem Antragsverfahren eine halbe Geschäftsgebühr an. Den dagegen eingelegten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom … 2015 zurück.
Der Kläger bringt vor, die Beklagte könne keine Kosten des Antragsverfahrens anrechnen, da sie diese Kosten nicht getragen habe.
Der Kläger beantragt,
den Kostenfestsetzungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass ihm weitere Kosten in Höhe von EUR 34,81 erstattet werden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bringt vor, die Anrechnung sei rechtmäßig, da nur vermieden werden solle, dass der Bürger die Mehrkosten eines Rechtsbehelfsverfahrens trage. Nach dem Wortlaut der Vorbemerkung 2.3 VV-RVG sei eine Anrechnung zwingend.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze und die zu Gericht gereichten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Der Kostenfestsetzungsbescheid ist dahingehend abzuändern, dass keine halbe Geschäftsgebühr anzurechnen ist.
Gemäß § 77 Abs. 1 EStG hat die Familienkasse demjenigen, der den Einspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Gebühren und Auslagen des Bevollmächtigten sind zu erstatten, da dessen Hinzuziehung gemäß § 77 Abs. 2 EStG für notwendig erachtet wurde.
Die Höhe der Vergütung bestimmt sich gemäß § 2 Abs. 2 RVG nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz (VV-RVG). Gemäß §§ 13, 14 RVG i.V.m. Nr. 2300 VV-RVG beträgt die 1,3 Geschäftsgebühr EUR 58,50. Hinzu kommt die Pauschale für Post und Telekommunikation (Nr. 7002 VV-RVG) in Höhe von EUR 11,70 sowie die Umsatzsteuer, so dass sich insgesamt ein Betrag in Höhe von EUR 83,54 ergibt.
Auf diese Geschäftsgebühr ist keine hälftige Geschäftsgebühr anzurechnen. Soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr für die Tätigkeit im Verwaltungsverfahren entstanden ist, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf eine Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit im weiteren Verwaltungsverfahren, das der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dient, angerechnet (Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 VV-RVG). Gemäß § 15a Abs. 2 RVG kann sich ein Dritter auf die Anrechnung aber nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Der Klägervertreter war hier sowohl im Einspruchsverfahren als auch im vorangegangenen Verwaltungsverfahre...