Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbstständig ausgeübte Tätigkeit einer Prostituierten nicht gewerbesteuerpflichtig
Leitsatz (redaktionell)
Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) vom 20.12.2001 (BGBl I 2001, 3983) und unter Berücksichtigung des zu „Telefonsex” ergangenen BFH-Urteils (v. 23.2.2000, X R 142/95) ist die selbstständig ausgeübte Tätigkeit einer Prostituierten nicht als Gewerbe anszusehen und damit nicht gewerbesteuerpflichtig, sondern führt zu sonstigen Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG (hier: Streitjahr 2007).
Normenkette
GewStG § 2 Abs. 1 Sätze 1-2; EStG § 15 Abs. 2 S. 1, § 22 Nr. 3; Prostitutionsgesetz § 1 S. 1
Nachgehend
BFH (Urteil vom 13.06.2013; Aktenzeichen III R 31/10) |
Tenor
1. Der Gewerbesteuermessbescheid 2007 vom 08.10.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 20.11.2008 wird aufgehoben.
2. Dem Beklagten werden die Kosten des Verfahrens auferlegt.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG erzielt.
Die Klägerin arbeitete im Streitjahr 2007 als Prostituierte. Sie bot in eigener Person Dritten die Ausübung von Geschlechtsverkehr gegen Entgelt in einer hierfür angemieteten Privatwohnung an. Aus dieser Tätigkeit erzielte die Klägerin im Streitjahr Einkünfte in Höhe von 67.747 EUR, die sie als sonstige Einkünfte beim Beklagten (dem Finanzamt) angab.
Gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2007 vom 8. Oktober 2008, mit dem der Messbetrag auf 1.008 EUR festgesetzt worden ist, hat die steuerlich vertretene Klägerin eine unzulässige Sprungklage erhoben, die der Beklagte als Einspruch behandelt hat. Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung v. 20.11.2008 zurückgewiesen.
Sie macht im Wesentlichen geltend, dass es bei der hier vorliegenden sog. eigenen Prostitution an einer Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr fehle.
An dieser Wertung, die sich auch in der einschlägigen BFH-Rechtsprechung findet (vgl. BFH-Urteile vom 23. Juni 1964) habe sich weder durch das BFH-Urteil vom 23. Februar 2000 X R 142/95 noch durch das sog. Prostituiertengesetz etwas geändert. Das genannte BFH-Urteil sei zu einem Fall der sog. Fremdprostitution ergangen. Das genannte Gesetz habe nichts daran ändern können, dass Prostituierte nach wie vor ein Schattendasein führen würden. Prostituierte würden nach wie vor in weiten Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen. Auch sei es Prostituierten nur in engen gesetzlichen Grenzen gestattet, ihrer Tätigkeit nachzugehen; auf die sog. Sperrbezirksverordnungen werde verwiesen. Schließlich würden auch die Kunden keine offizielle Verbindung wünschen, was ein gleichberechtigtes Auftreten im Wirtschaftsleben ausschließe. Es komme nicht auf gesetzgeberische Absichten, sondern auf die tatsächlichen Gegebenheiten an.
Die Klägerin beantragt,
den Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2007 v. 8.10.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung des Beklagten v. 20.11.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Auf Grund der Änderung der Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 23.02.2000, BStBl II 2000, 610) und dem Wandel der gesellschaftlichen Auffassung zur Prostitution (Prostitutionsgesetz vom 20.12.2001) gehe das Finanzamt davon aus, dass Einkünfte aus Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 3 EStG nicht mehr vorliegen würden. Eine Unterscheidung zwischen eigener und Fremdprostitution sei nicht mehr vorzunehmen.
Auf gerichtlichen Hinweis führt das Finanzamt aus, es treffe zwar zu, dass der BFH in dem Urteil vom 23.02.2000 nicht darüber entscheiden musste, ob die eigene Prostitution eine gewerbliche Leistung darstelle. Er habe allerdings in den Gründen bemerkt, dass die bisherige Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 23. Juni 1964, BStBl III 1964, 500 und vom 17. April 1970, BStBl II 1970, 620) im Hinblick auf veränderte gesellschaftliche Anschauungen zur Sexualität möglicherweise überholt sei. Die Finanzverwaltung vertrete bundeseinheitlich die Auffassung, dass sich die gesellschaftliche Anschauung zur Prostitution geändert habe. Dies zeige sich auch in dem Prostitutionsgesetz, mit dem der Gesetzgeber die Sittenwidrigkeit des Geschlechtsverkehrs gegen Entgelt beseitigt habe. Die Geltendmachung von Forderungen für solche Betätigungen sei mit dem Gesetz als rechtswirksam anerkannt worden. Daraus ergebe sich eine neue steuerliche Beurteilung. Sofern die Prostituierten nicht Arbeitnehmer seien, erzielten sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Für die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr genüge es, dass die Prostituierte ihre Dienste durch ihre Anwesenheit an bestimmten, dem Kundenkreis bekannten Orten oder durch Anzeigen in Printmedien oder im Internet anbiete und dass eine ge...