Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinnützigkeit eines Vereins im Beitrittsgebiet bei Übernahme eines Forschungsreaktors im Stadium der Betriebsunterbrechung nach der Wiedervereinigung und anschließend von der Politik beschlossener Stilllegung des Reaktors
Leitsatz (redaktionell)
1. Wurde ein bis dahin vom Zentralinstitut für Kernforschung betriebener, unterkritisch gehaltener, grundsätzlich betriebsbereiter, aber ertüchtigungsbedürftiger Forschungsreaktor im Beitrittsgebiet nach der Wiedervereinigung auf einen von einem Bundesland getragenen Verein übertragen und stand zu diesem Zeitpunkt politisch noch nicht fest, ob der Reaktor tatsächlich wieder in Betrieb genommen werden würde, so kann auch dann weiter von einer gemeinnützigen Förderung von Forschung und Wissenschaft durch den Verein auszugehen sein, wenn politisch später die Stilllegung und der Rückbau des Reaktors beschlossen worden sind; insoweit ist aufgrund der besonderen Situation der Wiedervereinigung unerheblich, dass in der Zeit zwischen Forschungstätigkeit am laufenden Reaktor und Entscheidung über die Stilllegung ein Rechtsträger- und Betreiberwechsel stattgefunden hat.
2. Bei der Beurteilung der Gemeinnützigkeit einer Körperschaft ist zu unterscheiden, ob sich die Körperschaft in einer ersten Aufbauphase, in einer zweiten Phase der aktiven Tätigkeit zur Verwirklichung des Satzungszwecks oder in einer dritten Abwicklungsphase befindet; eine Forschungseinrichtung kann daher nicht nur – bei Einhaltung der übrigen Voraussetzungen des § 51 AO – während der aktiven Forschungsphase, sondern auch in der Abwicklungsphase der Schließung der Einrichtung und der eventuell erforderlichen fachgerechten Entsorgung der für die Forschung verwendeten gefährlichen Stoffe. grundsätzlich als gemeinnützig anzuerkennen sein.
Normenkette
KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9 Sätze 1-2; AO §§ 51, 52 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 14; EinigVtr Art. 38 Abs. 2
Tenor
1. Die Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre 1998 bis 2007 vom 27. Februar 2007 (1998 bis 2004), 5. Juni 2007 (2005) und 17. Februar 2009 (2006 und 2007) sowie die Einspruchsentscheidung vom 9. Juni 2009 werden dahingehend geändert, dass der Kläger in den Streitjahren nur mit seinen steuerpflichtigen Einkünften aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben der Körperschaftsteuer unterlag und im Übrigen als gemeinnützige Körperschaft von der Körperschaftsteuer befreit war.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger in den Streitjahren 1998 bis 2007 als gemeinnützig iSd. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG iVm. §§ 51 ff. AO anzuerkennen ist.
Der Kläger ist ein mit Satzung vom 4. Dezember 1991 im Freistaat Sachsen gegründeter eingetragener Verein. Mitglied ist u.a. der Freistaat Sachsen (Blatt 22 Dauerakte). Nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 der Gründungssatzung (Blatt 3 ff. Dauerakte) war es Aufgabe des Vereins, „Kenntnisse und Fertigkeiten auf dem Gebiet der Kerntechnik und damit zusammenhängender Gebiete der Verfahrenstechnik zu erhalten und zu erweitern. Darüber hinaus hat der Verein die Aufgabe, gegebenenfalls bestimmte Anlagen zu errichten, zu betreiben, stillzulegen und dazu erforderliche Genehmigungen zu halten”. Der Verein wird hauptsächlich durch Zuschüsse des Freistaats Sachsen finanziert. Die wesentlichen Entscheidungen des Vereins trifft ein Kuratorium, in dem mehrheitlich der Freistaat Sachsen durch das Ministerium für Wissenschaft und Kunst (SMWK) vertreten ist. Die Satzung wurde in der Folgezeit mehrfach geändert (Neufassung der Satzung am 8. Dezember 1993, vgl. Blatt 12 ff. Dauerunterlagen; Änderung der Satzung am 3. April 1997, Blatt 38 der Dauerunterlagen, Satzungsänderung am 9. Dezember 2005, Anlage K 6 und Anlage K 12 zur Klagebegründung vom 3. September 2009). Auf die jeweiligen Satzungen, insbesondere die Aufgabenbeschreibungen, wird Bezug genommen.
Der Kläger war auf Empfehlung des Wissenschaftsrates vom 5. Juli 1991 (Anlage K 1 zur Klagebegründung) gegründet worden, um teilweise die Aufgaben des Zentralinstituts für Kernforschung (ZfK) zu übernehmen. Das ZfK als Teil der Akademie der Wissenschaften der DDR betrieb seit 1957 den Forschungsreaktor R (RFR) und war Inhaber der nach dem Recht der DDR erforderlichen atomrechtlichen Genehmigungen. An ihm war zunächst zu reaktorphysikalischen und materialwissenschaftlichen Fragen geforscht worden, die sich beim Ausbau der Kerntechnik gestellt hatten. Gleichzeitig war es Aufgabe des ZfK gewesen, durch grundlagenorientierte Arbeiten auf dem Gebiet der Kernphysik und Kernchemie Beiträge zur Förderung der Nutzung der Kernenergie zu leisten. Wegen der Aufgaben des...