Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplan. Privilegierung. Alter des Unternehmens. Alter des Betriebes
Leitsatz (amtlich)
Die Richtlinie 2001/23/EG nötigt nicht zu einer Auslegung des § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG dahin, dass es auf das Alter des Betriebes (und nicht: des Unternehmens) ankommt
Orientierungssatz
Sozialplanpflichtigkeit einer Maßnahme/Privilegierung von Betrieben eines Unternehmens in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung/ Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen vom 12.03.2001 (ABl. EG Nr. L 82 vom 22.03.2001 S. 16) – Richtlinie 2001/23/EG
Normenkette
BetrVG §§ 112, 112a; BGB § 613a; Richtlinie 2001/23/EG
Verfahrensgang
ArbG Bautzen (Beschluss vom 27.11.2003; Aktenzeichen 9 BV 9002/03) |
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers/Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bautzen vom 27.11.2003 – 9 BV 9002/03 – wird zurückgewiesen.
Rechtsbeschwerde ist zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten in dem Beschwerdeverfahren unverändert darüber, ob die Stilllegung des Betriebes der L-GmbH (nicht: der L- und T-GmbH, wie es auf Seite 4 des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgerichts versehentlich heißt) unter der damit einhergehenden Beendigung aller Arbeitsverhältnisse aus betriebsbedingten Gründen eine sozialplanpflichtige Maßnahme nach § 112 BetrVG dargestellt hat.
Der Antrag stellende und Beschwerde führende Betriebsrat des stillgelegten Betriebes der Arbeitgeberin ist aufgrund Restmandates weiter im Amt.
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Textilbranche. Sie beschäftigt sich mit der Herstellung, dem Vertrieb und dem Handel von Garnen, Zwirnen, Fasern und textilen Flächengebilden aus Natur- und Kunstfasern und deren Veredelung. Ihr Sitz ist in …
Ihren Sitz in … hatte auch die Fa. L- und T-GmbH, die 100 Arbeitnehmer beschäftigte. Über deren Vermögen wurde am 01.09.2000 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Verwalter führte ein weltweites Ausschreibungsverfahren durch, um einen Investor für die Übernahme des Unternehmens zu finden. Den Zuschlag erhielt die Fa. E-GmbH u. a. deshalb, weil sie sich bereit erklärt hatte, die Zahl der Beschäftigten von 54 Mitarbeitern zu übernehmen und später deren Zahl auf 90 zu erhöhen und bis zum Jahre 2004 Investitionen in Höhe von 5,11 Mio EUR zu tätigen.
Die E-GmbH war mit Gesellschaftsvertrag vom 29.03.2000 und Handelsregistereintragung am 13.06.2000 zunächst als „…” VV-GmbH gegründet worden. Mit Neufassung der Satzung aufgrund der Gesellschafterversammlung vom 19.09.2000 wurde die Firma dann in die E-GmbH geändert, eingetragen unter dem Handelsregister am 18.01.2001.
Mit Gesellschaftsvertrag vom 17.05.2001, unter Handelsregistereintrag am 18.06.2001, wurde die VVV-GmbH gegründet, deren Geschäftsanteile die E-GmbH übernahm. Durch Satzungsänderung aufgrund Gesellschafterversammlung vom 06.07.2001 wurde die Firma der VVV-GmbH mit Handelsregistereintrag unter dem 02.10.2001 in L- GmbH, das ist die Arbeitgeberin, geändert.
Die VVV-GmbH übernahm von dem insolventen Unternehmen das gesamte Anlagevermögen sowie Forderungen der Gesellschaft, insbesondere Anwartschafts- und Rückgewähr sowie Herausgabeansprüche, sämtliche Anlagen, Maschinen und Vorräte, Betriebs- und Geschäftsausstattung, PKw's, Lizenzen, Kunden- und Lieferantenlisten, gewerbliche Schutzrechte und sämtliche entwickelte Sofware. Des Weiteren ist sie in bestehende Leasing- und Mietverträge eingetreten. Über das Betriebsgrundstück und -gebäude wurde ein Mietvertrag abgeschlossen und eine Kaufoption eingeräumt. Außerdem übernahm sie 54 von ehemals 100 Mitarbeitern des insolventen Unternehmens.
Dessen Betrieb in … wurde ununterbrochen bis zur Stilllegung zum 31.12.2003 unter Beendigung der Arbeitsverhältnisse aus betriebsbedingten Gründen fortgesetzt.
Die E-GmbH beabsichtigte bei der Übernahme des Betriebes der L- und T-GmbH ein deutsch-chinesisches Joint Venture. Die Fa. F in der chinesischen Provinz … sollte hierbei Rohstoffe und Grobgarne liefern und damit die strukturellen Probleme der Arbeitgeberin ausgleichen, die sich ihrerseits auf die Feingarnproduktion und den Technologietransfer nach … konzentrieren sollte.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, einen Sozialplan bei Personalabbau erzwingen zu dürfen. Die Privilegierung für Unternehmen in den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung könne die Arbeitgeberin nicht in Anspruch nehmen. Abzustellen sei auf das – höhere – Alter des Betriebes. Die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei mit der Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen vom 12.03.2001, ABl. EG Nr. L 82 vom ...