Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswidrige Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung bei schlichter Verletzung von Mitteilungspflichten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO im Falle einer nicht unverzüglichen Mitteilung eines Anschriftenwechsels oder einer wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Partei setzt voraus, dass die Partei eine unverzügliche Mitteilung absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat. Dabei ist es schon dann nicht grob nachlässig, wenn die Partei ihre Mitteilungspflichten nach § 120a Abs. 2 ZPO schlicht vergisst oder ihnen schlicht nicht nachkommt.

2. Die schlichte Verletzung der in § 120 a Abs. 2 ZPO bestimmten Mitteilungspflichten ist noch kein Hinweis auf grobe Nachlässigkeit.

 

Normenkette

ZPO § 120a Abs. 2 S. 1, § 124 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

ArbG Leipzig (Entscheidung vom 03.12.2015; Aktenzeichen 3 Ca 806/14)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 03.12.2015 - 3 Ca 806/14 -

a u f g e h o b e n .

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Arbeitsgericht Leipzig zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen die Aufhebung der ihr bewilligten Prozesskostenhilfe.

Der Klägerin wurde mit Beschluss des Arbeitsgerichts vom 22.05.2014 Prozesskostenhilfe für die Durchführung einer Klage auf Zahlung restlicher Vergütungsansprüche, auf Erteilung einer Lohnabrechnung für November 2013 sowie eines qualifizierten Arbeitszeugnisses bewilligt. Ihr wurde Rechtsanwältin ... als Prozessbevollmächtigte beigeordnet.

Im Rahmen der Überprüfung nach § 124 Abs. 1 ZPO hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Klägerin bereits am 29.07.2014 ihre Anschrift geändert hat, ohne dies dem Arbeitsgericht mitzuteilen. In ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse war sie auf diese Verpflichtung zur Mitteilung der Änderung der Anschrift ausdrücklich hingewiesen worden.

Nach Anhörung der Klägerin, die lediglich mitteilte, dass sie die Mitteilung der Änderung der Anschrift nicht absichtlich unterlassen habe, hob das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 03.12.2015 die Bewilligung der Prozesskostenhilfe gemäß § 124 Abs. 1 Ziffer 4 ZPO auf. Der Beschluss wurde den Klägerinvertretern am 11.12.2015 zugestellt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende sofortige Beschwerde, die am 23.12.2015 beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Beschwerde vor, der Verstoß gegen die Pflicht zur Anzeige der Anschriftenänderung sei weder absichtlich noch aufgrund grober Nachlässigkeit erfolgt, so dass eine Aufhebungssanktion nicht gegeben sei. Die oben angeführten Aufhebungsvoraussetzungen hätten bei der Klägerin nicht vorgelegen. Das Arbeitsgericht half der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 02.03.2016 nicht ab und legte sie dem Sächsischen Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin ist begründet. Das Arbeitsgericht durfte die Prozesskostenhilfe-Bewilligung nicht gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufheben.

1. Gemäß § 120 a Abs. 2 Satz 1 ZPO hat die Partei dem Gericht innerhalb des vierjährigen Zeitraums nach Beendigung des Hauptsacheverfahrens (§ 120 a Abs. 1 Satz 4 ZPO) jede Änderung ihrer Anschrift unverzüglich mitzuteilen. Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei die Änderung ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit nicht unverzüglich mitgeteilt hat. Voraussetzung für die Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung ist somit, dass der Verstoß gegen die Mitteilungspflicht absichtlich oder auf grober Nachlässigkeit beruhte. Zunächst bleibt festzuhalten, dass vorliegend das Nachprüfungsverfahren gemäß § 120 a ZPO formell ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Das Anhörungsschreiben des Arbeitsgerichts vom 27.10.2015 zur Aufhebung der PKH-Bewilligung wurde der Klägerin zugesandt und ihrer Prozessvertreterin zugestellt.

a) Im Gegensatz zu der bis zum 31.12.2013 geltenden Fassung des § 124 Abs. 1 ZPO a. F. hat der Gesetzgeber die ab dem 01.01.2014 geltende neue Fassung des § 124 Abs. 1 ZPO als Sollvorschrift konzipiert. Zweck dieser Regelung ist u. a., eine Angleichung an die auch im Sozialrecht geltenden Mitteilungspflichten nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I zu erreichen (BT-Drucks. 17/11472, S. 23, 33). Als Ergänzung zu dieser Pflicht wurde in § 120 a Abs. 2 ZPO zugleich die Verpflichtung aufgenommen, dass das Gericht auch über Anschriftenwechsel zu informieren sei. Diese Mitteilungspflicht ist aus Sicht des Gesetzgebers notwendig, weil anderenfalls das Gericht nicht oder nur nach aufwendigen Ermittlungen in der Lage ist, ein Verfahren zur Änderung oder Aufhebung der Bewilligun...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?