Verfahrensgang
KreisG Görlitz (Urteil vom 07.05.1992; Aktenzeichen IV Ca 3688/91) |
Tenor
Kündigung ehemaliger Paßkontrolleure der DDR
1.
Gegenüber Mitgliedern der ehemaligen Paßkontrolleinheiten (PKE) der DDR, die als solche in den Diensten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR standen und nach dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages (3.10.1990) vom Bundesgrenzschutz an der deutsch/polnischen Grenze weiterbeschäftigt wurden, ist die außerordentliche Kündigung nach dem Einigungsvertrag zulässig.
2.
Zur Verwirkung des Kündigungsrechts.
– LAG Chemnitz, Urteil vom 4. November 1992, 2 Sa 134/92 Dresden –
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Kreisgerichts Görlitz vom 7. Mai 1992 – IV Ca 3688/91 – wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der 47jährige Kläger stand von Oktober 1968 bis Februar 1990 in den Diensten der Paßkontrolleinheiten (PKE) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR. Er war zuletzt Sachbearbeiter Fahndung/Paßkontrolle an der deutsch-polnischen Grenze. Sein letzter Dienstgrad war Hauptmann.
Mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages am 3. Oktober 1990 wurde er in die Dienste der Beklagten übernommen und beim Bundesgrenzschutz – Grenzschutzamt … – beschäftigt. Zu dieser Zeit war der Beklagten die Zugehörigkeit des Klägers zum früheren Ministerium für Staatssicherheit bekannt. Entsprechende Fragebogen hatte der Kläger auch zutreffend ausgefüllt. Bei einer endgültigen Weiterbeschäftigung der vom Bundesgrenzschutz übernommenen Mitarbeiter der Paßkontrolleinheiten war ihre Verbeamtung vorgesehen.
Am 28. Juni 1991 schlossen die Parteien einen schriftlichen Arbeitsvertrag, nach dem der Kläger ab 1. Juli 1991 auf unbestimmte Zeit als Schichtführer/KGF weiterbeschäftigt wurde.
Im Dezember 1991 entschloß sich die Beklagte zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Zugehörigkeit des Klägers zum MfS. Am 10. Dezember 1991 fand eine Anhörung des Klägers statt. Danach unterrichtete die Beklagte den zuständigen Bezirkspersonalrat über die Kündigungsabsicht, nannte als Grund für die fristlose Kündigung der ehemaligen PKE-Angehörigen ihre Zugehörigkeit zum MfS und ferner, daß sie nicht im Randbereich, sondern im exekutiv-operativen Bereich bzw. im Stab des Ministeriums für Staatssicherheit tätig gewesen seien. Eine Einzelfallprüfung habe stattgefunden, aber keine Gesichtspunkte ergeben, die die Beklagte hätten veranlassen können, von einer Kündigung abzusehen. Mit Schreiben vom 10. Januar 1992 erhob der Bezirkspersonalrat gegen die Kündigung Einwendungen.
Nachdem die Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 16.12./23.12.1991 gekündigt hatte, nahm sie diese Kündigung mit Schreiben vom 10. Januar 1992, dem Kläger zugegangen am 17. Januar 1992, zurück und sprach zugleich eine erneute außerordentliche Kündigung aus.
Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe bei der Kündigung die zweiwöchige Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 BGB zum Ausspruch der Kündigung versäumt. Der Bezirkspersonalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden, weil die Beklagte ihn nur pauschal informiert habe. Sie habe dem Bezirkspersonalrat auch nicht das Protokoll der Anhörung des Klägers vorgelegt. Eine Einzelfallprüfung, ob ein Festhalten am Arbeitsverhältnis zumutbar sei, habe die Beklagte nicht vorgenommen. Der Kläger habe sich bei seiner Tätigkeit beim Bundesgrenzschutz bewährt. Durch langes Zuwarten habe die Beklagte ihr eventuelles Kündigungsrecht verwirkt. Die Beklagte beschäftigte auch noch andere Mitarbeiter des MfS weiter.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche (fristlose) Kündigung der Beklagten vom 10.01.1992 nicht beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen auf unbestimmte Zeit fortbesteht,
- im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1., die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsschutzverfahrens vertragsgemäß tatsächlich weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Weiterbeschäftigung ehemaliger Mitarbeiter der PKE habe auf der irrigen Annahme beruht, diese seien nur formell dem MfS unterstellt gewesen. Erst im Juli 1991 seien ihr Dienstanweisungen für die PKE: bekanntgeworden. Danach sei Aufgabe der PKE auch die „ständige Überwachung und Filtrierung des die Kontrollpunkte passierenden Personenkreises zum Erkennen und Unschädlichmachen von Feinden der Deutschen Demokratischen Republik” gewesen. Die PKE hätten sich ferner konspirativ-geheimdienstlicher Methoden zu bedienen gehabt. Weder die Anhörung des Klägers noch die von ihr eingeholten Kurzauskünfte der Behörde des Bundesbeauftragten für die personenbezogenen Unterlagen des früheren Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (Gauck-Behörde) hätten den Kläger persönlich entlastende Umstände ergeben.
Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen, weil ein Festhalten der Beklagten am Arbeitsverhä...