Entscheidungsstichwort (Thema)
Einfühlungsverhältnis als dem Arbeitsverhältnis vorgeschaltete Beziehung (hier: zu Einweisungszwecken)/doppelte Schriftformklausel im Arbeitsvertrag contra behaupteten früheren Beginn des Vertrages
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Schriftformklausel, die nicht nur Vertragsänderungen von der Schriftform abhängig macht, sondern auch die Änderung der Schriftformklausel ihrerseits einer besonderen Form unterwirft, indem sie die mündliche Aufhebung der Schriftformklausel ausdrücklich ausschließt (sog. doppelte Schriftformklausel), kann nicht durch eine die Schriftform nicht wahrende Vereinbarung abbedungen werden. In der Verwendung gerade der doppelten Schriftformklausel wird nämlich deutlich, dass die Vertragsparteien auf die Wirksamkeit ihrer Schriftformklausel besonderen Wert legen. Ein Verstoß führt zur Unwirksamkeit einer Änderungsabrede.
2. Unter einem Einfühlungsverhältnis versteht die arbeitsrechtliche Literatur ein ganz loses Rechtsverhältnis eigener Art, das sich von einem Arbeitsverhältnis – insbesondere auch von dem Probearbeitsverhältnis – dadurch unterscheidet, dass der in den Betrieb aufgenommene potenzielle Arbeitnehmer während der Einfühlungsphase keine Pflichten übernimmt, insbesondere keine Arbeitspflicht hat, da er nicht dem Direktions- oder Weisungsrecht des potenziellen Arbeitgebers unterliegt, sondern lediglich dem Hausrecht des Betriebsinhabers untersteht.
Normenkette
ZPO § 416
Verfahrensgang
ArbG Bautzen (Urteil vom 19.02.2003; Aktenzeichen 10 Ca 10529/02) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bautzen vom 19.02.2003 – 10 Ca 10529/02 –
abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Revisionszulassung: keine.
Tatbestand
Die Parteien streiten auch im Zweiten Rechtszug unverändert darüber, ob der Kläger von der Beklagten für den Zeitraum vom 29.05. bis zum 31.05.2002 die Vergütung von 39 Arbeitsstunden mit 320,97 Euro verlangen kann. Unverändert geht es im zweiten Rechtszug auch weiter darüber, ob der Kläger für die Monate Juni, Juli und August 2002 die Vergütung von Überstunden wie folgt beanspruchen kann:
- für Juni 2002 |
für 38,5 Stunden |
316,85 Euro |
- für Juli 2002 |
für 26,0 Stunden |
213,98 Euro |
- für August 2002 |
für 36,5 Stunden |
300,40 Euro. |
Hinsichtlich der vier Teilbeträge beansprucht der Kläger weiterhin die Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit (über die jeweiligen Teilbeträge in der aufgeführten Reihenfolge) 15.06. bzw. 15.07. bzw. 15.08. bzw. 15.09.2002.
Die Parteien hat ein unter dem 31.05.2002 unterzeichneter Arbeitsvertrag verbunden. In dessen letztem § heißt es auszugsweise:
„Aufhebung, Änderung und Ergänzung dieses Anstellungsvertrages bedürfen der Schriftform. Mündliche Vereinbarungen, auch die mündliche Vereinbarung über die Aufhebung der Schriftform, sind nichtig.”
Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung hat der Kläger bis 31.05.2002 Arbeitslosengeld bezogen.
Das vom Kläger angegangene Arbeitsgericht Bautzen hat durch das hier mit der Berufung der Beklagten angefochtene Urteil die streitgegenständliche Forderung ausgeurteilt. Das tatsächliche Vorbringen der Parteien ist in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils vollständig und richtig wiedergegeben, weswegen hier von der erneuten Wiedergabe abgesehen werden kann (§ 69 Abs. 2 und 3 ArbGG n. F.).
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder für den Zeitraum vom 29.05. bis 31.05.2002 noch für die Monate Juni bis August 2002 Anspruch auf die streitgegenständliche Vergütung. Als Folge ist auch nichts zu verzinsen.
1.
In dem Zeitraum vom 29.05. bis 31.05.2002 hat zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis bestanden. Deswegen ist auch keine Arbeitsvergütung zu entrichten.
Ausweislich des schriftlichen Arbeitsvertrages der Parteien sollte die Tätigkeit des Klägers am 01.06.2002 beginnen. Dies ist unter dem 31.05.2002 verabredet worden. Wären die Parteien von einem Vertragsbeginn bereits am 29.05.2002 ausgegangen, hätte es nahe gelegen, eben dies zu verabreden.
Gegen die Annahme eines vorgeschalteten mündlichen Arbeitsverhältnisses streitet die doppelte bzw. qualifizierte Schriftformklausel in dem schriftlichen Arbeitsvertrag dahingehend, dass auch mündliche Vereinbarungen – auch die mündliche Vereinbarung über die Aufhebung der Schriftform – nichtig seien.
Eine lediglich einfache Schriftformklausel, nach der Änderungen und Ergänzungen eines Vertrages der Schriftform bedürfen, verhindert mündliche Abmachungen nicht. Nach allgemeinen Grundsätzen kann eine so vereinbarte Schriftform auch ohne Einhaltung der Schriftform abbedungen werden. Das gilt sogar dann, wenn die Parteien bei Abschluss der an sich formbedürftigen Vereinbarung nicht an die Schriftform gedacht haben (BAG vom 24.06.2003 – 9 AZR 302/02 –, EzA § 125 BGB Nr. 2 m.w.N.).
Anders verhält es sich dagegen bei einer Schriftformklausel, die – wie hier – nicht nur Vertragsänderungen von der Schriftform abhän...