Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Urteil vom 17.10.1995; Aktenzeichen 20 Ca 5245/95) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 17. Oktober 1995 – 20 Ca 5245/95 – wird auf Kosten des Beklagten
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Die am 19. Dezember 1959 geborene Klägerin war seit 15. September 1989 bei dem Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgänger zunächst als Angestellte der Volkspolizei und seit Gründung des Freistaates Sachsen als Sachbearbeiterin für Schreibtechnik in der Polizeidienststelle G. tätig.
Die Klägerin hat am 10. Dezember 1990 den an alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes des Freistaates Sachsen verteilten Fragebogen ausgefüllt und unterschrieben. Dabei hat sie die Frage nach einer Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit mit „ja” beantwortet und handschriftlich folgendes ausgeführt:
„Zu 1.1
Die unfreiwillige Bekanntschaft mit den Herren von der Stasi machte ich damals in der Kaderabteilung meines ehemaligen Betriebes, als ich während der Arbeitszeit hinbestellt wurde. Ich sollte Auskünfte über einen Bekannten geben, der in meiner Begleitung gesehen wurde. Nach diesem Gespräch folgte dann ein weiteres, wo ich mich dann zur Mitarbeit überreden ließ. Der Hauptgrund abzulehnen, war einfach Angst.
Meine Mitarbeit bestand im Beantworten von Fragen. Hauptsächlich wurde ich über asoziale Jugendliche, die ich durch meine Tanzbesuche kannte, ausgefragt und auch über Einwohner aus unserem Dorf. Über den größten Teil dieser Leute konnte ich keine oder unwichtige Antworten geben, da ich mich nicht um die Privatangelegenheiten gekümmert habe.
Zeitraum der Mitarbeit: Mitte oder Ende 1982, außer 1983 bis 1984 (in dieser Zeit hatte ich keine Verbindungen), bis ungefähr Anfang 1987.
Anzahl der Treffs: ca. 10 bis max. 15 für die gesamte Zeit.
Ort: ungefähr viermal im Rathaus, Eingang Stadthausstraße, später bin ich im Auto abgeholt worden.
Grund f. Beendigung: |
Ehrlich, ich hatte die Nase voll. Bin nicht zur Verabredung dagewesen. Später bin ich schwanger geworden und umgezogen. |
Ich möchte versichern, daß ich ab 1987 wirklich keine Verbindungen zur Staatssicherheit hatte.
K. J.
Nach dieser Erklärung erfolgte am 12. Februar 1991 eine mündliche Anhörung der Klägerin vor der vom Sächsischen Staatsministerium des Innern gebildeten Kommission in L. In einem hierbei gefertigten Protokoll gab die Klägerin u. a. an, sich freiwillig für die Mitarbeit beim MfS bereiterklärt zu haben. Die Frage nach Druckmitteln wurde von ihr verneint. Die Klägerin erklärte weiterhin, eine schriftliche Verpflichtungserklärung unterschrieben zu haben und hierbei den Decknamen „M. M.” gewählt zu haben. Zum Inhalt der Mitarbeiter für das MfS gab die Klägerin an: „a) westdeutscher Freund meiner Bekannten, b) Fam. einer meiner Freundinnen, c) zu Vorgängen in d. Kaufhalle (ehem. Arbeitsstelle).” Schließlich teilte die Klägerin mit, im Jahre 1982 eine Zuwendung über ca. 40,00 M erhalten zu haben. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Anhörung wird auf das Protokoll vom 12. Februar 1991 (Bl. 28 bis 30 d. A.) Bezug genommen.
Unter dem Datum des 12. Februar 1991 erging durch das Sächsische Staatsministerium des Innern ein Beschluß. Darin wurde festgestellt, daß Frau J. in den Polizeidienst des Freistaates Sachsen übernommen werden kann. Wegen der Einzelheiten dieses Beschlusses wird auf Bl. 31 d. A. Bezug genommen.
Im Februar 1995 erhielt der Beklagte eine Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes. Hierin wird u. a. mitgeteilt, daß die Klägerin den Decknamen „M. M.” hatte, das letzte Treffen am 13. November 1987 erfolgt sei, eine schriftliche Verpflichtungserklärung vorliege, Ziel der Werbung nach der Darstellung des MfS der Einsatz zur Bearbeitung der im operativen Vorgang „S.” erfaßten Personen und die Absicherung von Jugendtanzveranstaltungen im Raum H. gewesen sei, die Klägerin ein Präsent im Wert von 38,00 M erhalten habe, es 17 Treffberichte der Führungsoffiziere und 19 Berichte der Führungsoffiziere nach Informationen der Klägerin sowie einen handschriftlichen Bericht der Klägerin mit Decknamen unterzeichnet und eine Adressenmitteilung der Klägerin gegeben habe. Die Berichte enthielten Informationen über Personen aus dem Umgangskreis der Klägerin, Bewohner des Dorfes, deren Besucher, Jugendliche und besondere Vorkommnisse bei Tanzveranstaltungen sowie Probleme und Mißstände an der Arbeitsstelle der Klägerin. In dem Abschlußbericht des MfS vom 09. Februar 1989 heißt es u. a.:
„Der IM zeigte Bereitschaft zur Lösung der gestellten Aufgaben, jedoch realisierte er sie nicht. Seine persönlichen Interessen überwiegten. Trotz Erläuterungen und Instrumentalisierungen zeigten sich beim IM keine Verhaltensänderungen. Die Treffdisziplin war ungenügend. Über persönliche Dinge sprach der IM kaum. Bis 1987 wurde de...