Verfahrensgang
ArbG Dresden (Urteil vom 30.06.1993; Aktenzeichen 10 Ca 114/93) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 30.06.1993 – 10 Ca 114/93 – abgeändert:
1.
Es wird festgestellt, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 21.12.1992 aufgelöst worden ist.
2.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten erklärten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Der am 22.08.1939 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 28.08.1961 zuletzt als Solo-Baß-Posaunist bei der … Philharmonie, einer rechtlich nicht selbständigen Einrichtung der Stadt …, beschäftigt.
Am 08. Juni 1973 unterzeichnete der Kläger eine von ihm geschriebene Verpflichtungserklärung mit folgendem Wortlaut:
„Ich erkläre mich bereit das MfS bei allen Sicherheitsvorkehrungen meiner und der meiner Kollegen zu unterstützen. Über die Zusammenkünfte und über die geführten Gespräche werde ich gegenüber jedermann strengstes Stillschweigen wahren. Die Verbindung werde ich unter dem Namen … halten.”
Zur Zusammenarbeit des Klägers mit dem MfS bzw. zur Unterstützung des MfS kam es auf folgende Weise:
Auf einer Konzertreise durch … und die … vom 24.02.1973 bis 09.03.1973 vergaß der Kläger Reisepaß und Adreßbuch in seinem Hotelzimmer. Die Kontrollorgane des Grenzüberganges zur DDR meldeten das Vorkommnis an das Ministerium für Staatssicherheit, das den Kläger wenige Tage später durch seinen Mitarbeiter Oberleutnant … aufsuchen ließ, der den Kläger unter Vorhalt, daß es sich um einen schweren, die Sicherheit seiner Person, des Staates DDR und aller in dem Adreßbuch genannten Personen gefährdenden Vorgang handele, androhte, er werde möglicherweise nicht mehr ins Ausland reisen dürfen und müsse hohe Kosten für die Wiederbeschaffung seiner Unterlagen tragen.
In dem Bericht des Oberleutnant … heißt es: „… diese Angaben machte … ohne Hemmungen, offen und es entstand der Eindruck, daß … die Angelegenheit nicht als zu ernst nimmt. So erklärte er auch, daß er bei der VP war, welche seine Angaben notierten aber keinerlei Bemerkungen machten. Aus diesem Grund legte der MA dem … dar, was der Verlust eines Paßes bedeutet. Ihm wurde aufgezeigt, das einmal die Möglichkeit besteht, das er den Paß selbst liegen lies und dies bewußt. Zum anderen kann man mit einem Paß Schleusungen durchführen. Dabei wurde … auch aufgezeigt das es für einen Paß 20 T. Mark und mehr gibt. Gleichzeitig lies der MA anklingen, daß Personen die ihren Paß verloren haben nicht gleich wieder in das Ausland gelassen werden … zeigte sich stark beeindruckt und erklärte offen, daß er sich solcher Gedanken nicht gemacht hat. Er beteuerte, daß er den Paß wirklich verloren hat.
Der MA führte weiter aus, was alles mit den Adressen im Notizbuch angestellt werden kann. So dienen die Adressen auch dazu um Kontakte durch den Gegner in der DDR herzustellen, was auch seine Schuld sei…”.
In einem weiteren Bericht über ein Treffen vom 26.04.1973 mit dem Kläger heißt es: „… vorher war der Kand. der Meinung, daß die MA bereits bei einem Treff ihm seinen Paß sowie das Notizbuch übergeben. Dazu wurde durch die MA ausgeführt, daß dies nicht der Fall sein kann, da bisher nur bekannt ist, daß der Paß gefunden wurde, aber die nähren Umstände nicht bekannt sind. Ihm wurde erklärt, daß unabhängig vom Auffinden des Paßes sowie des Notizbuches, eine weitere Zusammenarbeit mit dem MfS aus Gründen seiner eigenen Sicherheit erforderlich ist. …”
Auf diese Weise gewann das Ministerium für Staatssicherheit (im folgenden kurz: MfS) den Kläger für eine geheime Berichttätigkeit (vgl. im einzelnen die Berichte zur Kontaktierung des Klägers durch den Oberleutnant …) vom 06.03.1973 (Bl. 40/41 d.A.), die Treffberichte vom 02.05.1973 (Bl. 44 und 237/238 d.A.) und vom 12.05.1973 (Bl. 239/240 d.A.) sowie den Bericht des Oberleutnant … zum Vorschlag zur Werbung des Klägers als IMS (vgl. Bl. 241–244 d.A.), wobei der Kläger am 08.06.1973 die oben zitierte Verpflichtungserklärung verfaßte und unterzeichnete.
Im Zeitraum von 1973 bis September 1990 berichtete der Kläger in regelmäßigen, jedoch unterschiedlichen Zeitabständen mündlich unter dem Decknamen … über berufliche, aber auch über private und eheliche Probleme aus dem Kollegenkreis sowie über deren Reisetauglichkeit und Kontakte in das nichtsozialistische Ausland, wobei diese Berichte jeweils ohne Wissen des Klägers auf Tonband mitgeschnitten und anschließend von einem Mitarbeiter des MfS maschinenschriftlich übertragen wurden.
Wegen des Inhaltes dieser Berichte im einzelnen wird auf Bl. 29 bis 32 d.A. sowie auf Bl. 251–253, 256 bis 257 d.A. Bezug genommen.
Am 14.08.1974 wurde zwar ausweislich der dem Gericht vorgelegten Gauck-Unterlagen, auf deren Inhalt Bezug ...