Verfahrensgang
ArbG Leipzig (Urteil vom 03.05.1995; Aktenzeichen 4 Ca 11179/94) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 03.05.1995 – 4 Ca 11179/94 – wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die der Beklagte unter Berufung auf Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (folgend: Abs. 5 RV) sowie § 626 BGB und § 54 BAT-O ausgesprochen hat.
Die am 11.03.1954 geborene Klägerin wird seit 1964 als Lehrerin beschäftigt. Das Gehalt betrug zuletzt 3.364,76 DM.
In einem Erklärungsbogen vom 17.03.1991 hatte die Klägerin gegenüber dem Beklagten versichert, daß sie weder offiziell noch inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR tätig war. Sie hat jedoch angegeben, daß sie als Informantin, falls dies für die Schule erforderlich wäre, fungieren sollte.
Mit Schreiben vom 07.11.1994 teilte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (fortan: Gauck-Behörde) dem Beklagten mit, daß die Klägerin in der Zeit vom 04.02.1974 bis zum 09.11.1979 als inoffizielle Mitarbeiterin zur Sicherung und Durchdringung gesellschaftlicher Bereiche oder Objekte unter dem Decknamen „E.” für das MfS erfaßt gewesen sei. Die Akte enthält eine Schweigeverpflichtung vom 09.01.1974 sowie eine handschriftliche Verpflichtungserklärung vom 04.02.1974. Des weiteren sind in der Akte zwei Treffberichte vom 21.02.1974 sowie vom 22.04.1974 vorhanden.
Am 06.12.1994 wurde die Klägerin vor dem Oberschulamt zu dem vorstehenden Sachverhalt gehört. Sie hat sich jedoch zunächst nicht geäußert und unter dem 07.12.1994 dem Oberschulamt L. eine Erklärung zukommen lassen. Darin hat sie angegeben, daß es im Januar 1974 zu Kontakten bezüglich einer MfS-Mitarbeit gekommen sei und sie Bereitschaft signalisiert habe. Sie sei dabei wegen einer privaten Angelegenheit unter Druck gesetzt worden. Sie habe Aktivitäten vorgetäuscht, aber keine Ergebnisse geliefert.
Mit einem Schreiben des Präsidenten des Oberschulamtes vom 09.12.1994 wurde der Bezirkspersonalrat über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung der Klägerin informiert. Die Arbeitnehmervertretung hat am 14.12.1994 schriftlich gegen die beabsichtigte Kündigung Bedenken erhoben.
Mit Schreiben vom 15.12.1994, der Klägerin zugegangen am 17.12.1994, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Die dagegen gerichtete Kündigungsschutzklage ist am 20.12.1994 beim Arbeitsgericht Leipzig erhoben worden.
Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe den Erklärungsbogen zutreffend ausgefüllt. Unter Punkt 1.3. habe sie gerade angegeben, daß es zu Kontakten mit dem MfS gekommen sei.
Daran, daß sie eine Verpflichtungserklärung abgegeben habe, könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie sei zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit erpreßt worden, habe jedoch die ihr übertragene Aufgabe bezüglich des Ausreisewillens der ihr bekannten Familie nicht erfüllt.
Im übrigen meint sie, sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.
Die Klägerin hat beantragt:
- Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 15.12.1994, der Klägerin zugegangen am 17.12.1994, aufgelöst wurde.
- Für den Obsiegensfall zu 1. wird der Beklagte verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Lehrerin bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vortragen lassen, die Klägerin habe für das MfS gearbeitet. Dieser Sachverhalt ergebe sich aus den Unterlagen der Gauck-Behörde.
Die Klägerin habe im Erklärungsbogen vom 17.03.1991 bewußt nicht angegeben, daß sie für das Ministerium für Staatssicherheit tätig gewesen sei und daher falsche Angaben gemacht. Ihm sei es unzumutbar, die Klägerin weiterzubeschäftigen.
Der Personalrat sei mit einem Schreiben vom 09.12.1994 umfassend über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung angehört worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 93 bis 98 d. A.) verwiesen.
Gegen das der Klägerin am 20.06.1995 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 03.05.1995 hat diese mit einem am 10.07.1995 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und am 01.08.1995 wie folgt begründet:
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei sie nicht für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit tätig gewesen. Jedenfalls sei die Abgabe einer Verpflichtungserklärung noch nicht als Tätigkeit für das MfS anzusehen. Allein die Tatsache, daß es einen vermeintlichen Treffbericht eines Stasi-Mitarbeiters gebe, der auswei...