Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung von Tarifnormen. Tarifliche Regelung zur Beteiligung der Beschäftigten mit eigenen Beitragsleistungen an der betrieblichen Altersversorgung. Zulässige Delegierung der Rechtssetzungsbefugnis durch die Tarifvertragsparteien. Zulässige Verweisung im Tarifvertrag auf jeweils geltende andere tarifliche Vorschriften

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages erfolgt zunächst nach dem Wortlaut. Reicht dieser nicht aus, kommen danach der wirkliche Wille der Tarifparteien, der beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifregelung, die Tarifsystematik und - wenn Zweifel bleiben - auch die Entstehungsgeschichte, die praktische Tarifausübung und die Praktikabilität als Auslegungskriterien in Betracht.

2. Eine Auslegung des im vorliegenden Fall einschlägigen Tarifvertrages zeigt, dass die Tarifvertragsparteien den Willen hatten, die Beschäftigten durch eigene Beitragsleistungen an der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu beteiligen.

3. Es ist zulässig, dass die Tarifvertragsparteien ihre Rechtssetzungsbefugnis delegieren oder auf jeweils andere Tarifnormen verweisen. Jedoch gilt dies nicht für eine Übertragung der Befugnis, Rechtsnormen für den Geltungsbereich des verweisenden Tarifvertrages zu setzen.

4. Die Tarifvertragsparteien können auf jeweils andere geltende tarifliche Vorschriften verweisen, sofern deren Geltungsbereich mit dem Geltungsbereich der verweisenden Tarifnorm in einem engen sachlichen Zusammenhang steht.

 

Normenkette

BGB § 362 Abs. 2; TVG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1; IKK-TV § 46 S. 1; ATV/IKK § 3 Abs. 1 Fassung: 2002-12-13

 

Verfahrensgang

ArbG Zwickau (Entscheidung vom 14.06.2018; Aktenzeichen 1 Ca 182/18 P)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 21.01.2020; Aktenzeichen 3 AZR 73/19)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 14.06.2018 - 1 Ca 182/18 P - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte von der Nettovergütung des Klägers einen Eigenanteil am Beitrag zum Kapitaldeckungsverfahren zur betrieblichen Altersversorgung einbehalten und an die ... (...) abführen darf.

Die Beklagte, eine bundesunmittelbare rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung, ist eine Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung mit Sitz in ... Sie ist Mitglied im Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK-Bundesverband).

Der Kläger, der Mitglied der ... (...) ist, ist seit dem 24.07.1995 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin angestellt. Im Streitzeitraum wurde er als Sozialversicherungsfachangestellter in der Geschäftsstelle der Beklagten in ... in Vollzeit beschäftigt und erhielt eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe 8 Stufe 10 IKK-TV.

Die Beklagte hat den Kläger bei der ... (...) als Versicherten angemeldet. Ab dem 01.01.2003 zog sie von der monatlichen Vergütung des Klägers jeweils einen prozentualen Anteil entsprechend der jeweils geltenden ...-Satzung als Arbeitnehmerbeitrag zur betrieblichen Altersversorgung ab, der in den Gehaltsabrechnungen als "ZV-Beitrag" ausgewiesen ist, und überwies diesen an die ... In den streitgegenständlichen Monaten Juni 2017 bis Januar 2018 erfolgten Abzüge in nachfolgender Höhe:

• Juni 2017 88,17 € netto

• Juli bis November 2017 je 121,23 € netto

• Dezember 2017 291,65 € netto

• Januar 2018 154,30 € netto.

Mit Schreiben vom 28.11.2017 (Anlage K 12 zur Klageschrift vom 09.02.2018; Bl. 30 d. A.) forderte der Kläger die Beklagte auf, keine Arbeitnehmeranteile mehr an die ... abzuführen und ihm die ab Juni 2017 abgeführten Beträge zu erstatten.

Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 11.12.2017 ab. Hierauf hat der Kläger seine Forderung für die Monate Juni 2017 bis Januar 2018 mit seiner vor dem Arbeitsgericht Zwickau erhobenen Klage weiter verfolgt.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei nicht zum Abzug eines Arbeitnehmerbeitrags zur betrieblichen Altersversorgung vom monatlichen Gehalt berechtigt. Er habe auf der Grundlage der zwischen dem IKK-Bundesverband und ... abgeschlossenen Tarifverträge Anspruch auf eine ausschließlich arbeitgeberfinanzierte Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Für Arbeitnehmer im Abrechnungsverband Ost sei ein eigener Umlageanteil nicht vereinbart. Auf die Regelungen in der ...-Satzung könne nicht abgestellt werden, da § 3 Abs. 1 des Tarifvertrages über die betriebliche Altersversorgung bei den Innungskrankenkassen und ihren Verbänden (ATV/IKK) vom 13.12.2002 in der geltenden Fassung nur hinsichtlich der Finanzierung durch den Arbeitgeber auf die ...-Satzung verweise. Nur für die Arbeitnehmer im Abrechnungsverband West sehe § 3 Abs. 2 ATV/IKK einen eigenen Umlageanteil vor. Dieses Ergebnis stehe nicht in Widerspruch zu § 46 Satz 1 IKK-TV, denn dieser normiere keinen zwingenden Eigenanteil der Arbeit nehmer, sondern überlasse eine entsprechende Regelung einem besonderen Tarifvertrag.

Der Kläger hat, soweit für ...

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