Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS (IMS). Zumutbarkeitsprüfung
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2
Verfahrensgang
ArbG Dresden (Urteil vom 24.04.1996; Aktenzeichen 12 Ca 8609/95) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 24.04.1996 – 12 Ca 8609/95 – mit den Ziff. 1 und 3 abgeändert.
Die Klage wird mit dem Klageantrag Ziff. 1. abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Revisionsverfahrens.
2. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer auf die Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 zum Einigungsvertrag (im Folgenden: Abs. 5 EV) gestützten außerordentlichen Arbeitgeberkündigung.
Der am 19.10.1937 geborene Kläger war nach einem Studium der Architektur zunächst von 1964 bis 1969 als wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Universität … tätig. Anschließend arbeitete er für die …, zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Direktor, ab 01.01.1975 als deren Direktor. Am 24.04.1981 erhielt der Kläger nach einem Disziplinarverfahren einen „strengen Verweis” (siehe Bl. 87/88 d.A.), weil er es einem selbständig tätigen Fotografen mehrfach gestattet hatte, belichtetes Fotomaterial unter Verwendung des Absenders der Deutschen Fotothek und deren Postweg benutzend in das „kapitalistische Ausland” zu versenden und entwickeltes Material von dort zurückzuerhalten, jeweils unter Umgehung der „Kontrollorgane der Zollverwaltung der DDR”.
Nachdem der Arbeitgeber, die Sächsische Landesbibliothek, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger durch Schreiben vom 15.09.1989 (Bl. 91 bis 96 d.A.) zum 16.12.1989 wegen „Nichteignung für die vereinbarte Arbeitsaufgabe” gekündigt hatte, kam es am 23.10.1989/28.11.1989 zum Abschluss eines Überleitungsvertrages (Bl. 85 d.A.), mit welchem dem Kläger ab 01.12.1989 die Tätigkeit eines wissenschaftlichen Oberassistenten am Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege der … übertragen wurde. Mit Änderungsvertrag vom 06.09.1991 (Bl. 4 d.A.) vereinbarten die Parteien die Anwendbarkeit des BAT-O und stellten eine Eingruppierung des Klägers in die Vergütungsgruppe I b fest.
Am 23.04.1991 erklärte der Kläger (Bl. 21/22 d.A.), er habe weder offiziell noch inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR gearbeitet. Die weitere Frage nach einer Arbeit für das MfS/AfNS über mittelbare Kontakte, im Wege einer Verpflichtung als Reisekader oder über Kontakte als Mitarbeiter örtlicher Staatsorgane, als Leiter oder aufgrund gesellschaftlicher Funktionen beantwortete der Kläger wie folgt:
„Nein, nicht für das MfS gearbeitet, aber es gab Besuche von Mitarbeitern des MfS in der von mir geleiteten Einrichtung zur Einholung von Auskünften; seit etwa 1974, nach Unterstellungsänderung der Einrichtung 1983 nur selten und mit meiner Amtsenthebung im Februar 1989 erledigt.”
Mit am 09.10.1995 beim Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst eingegangenem Einzelbericht vom 26.09.1995 (Bl. 23 bis 25 d.A.) informierte der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (im Folgenden: BStU), dass der Kläger nach einem losen offiziellen Kontakt ab 11.11.1970 als gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) und ab 08.10.1971 bis zum 10.11.1984 als inoffizieller Mitarbeiter für Sicherheit (IMS) beim MfS erfasst gewesen sei. Im Anschluss an eine Verpflichtungserklärung vom 11.11.1970 mit Ergänzung vom 25.09.1971 (Wahl des Decknamens …, Bl. 26 d.A.) habe der Kläger 15 handschriftliche Berichte, davon drei mit Klarnamen und 12 mit Decknamen, gefertigt. Außerdem gebe es 117 Treffberichte der Führungsoffiziere, 8 Berichte der Führungsoffiziere nach Informationen des Klägers und 48 Tonbandabschriften. Ziel der Werbung sei die Absicherung der Fotothek und die Aufklärung von Personen gewesen. Bei den Berichten des Klägers sei es 47 mal um Personeninformationen (fachliche, politische und persönliche Einschätzungen), um Informationen zu fachlichen Aktivitäten, Auftragsbearbeitung, Bezug von westlichen Zeitschriften u.ä. sowie um Informationen über Meinungen im Dienstbereich zu tagespolitischen Ereignissen gegangen. Die Informationen hätten zur Anlage einer Operativen Personenkontrolle (OPK) geführt und seien in mehrere Operative Vorgänge (OV) eingegangen. Der Kläger habe auch Kopien dienstlicher Unterlagen, z.B. Schriftverkehr mit BRD-Firmen, weitergegeben und vom MfS Präsente im Werte von insgesamt 272,10 M erhalten.
Dem Einzelbericht war u.a. der Abschlussbericht des MfS vom 01.11.1984 (Bl. 42 d.A.) beigefügt. Dort heisst es u.a.:
„Die operativen Arbeitsergebnisse waren mittelmäßig und erfolgten bis auf wenige Ausnahmen in mündlicher Form. Der IM zeigte bei allen erteilten Auf...