Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozessfähigkeit. Minderjähriger. Vertretung durch ein Elternteil bei gemeinsamem Sorgerecht der Eltern. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf wegen Alleinerziehung. temporäre Bedarfsgemeinschaft. täglicher Aufenthalt des Kindes in beiden Haushalten der getrennt lebenden Eltern
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem minderjährigen, beschränkt geschäftsfähigen Kind fehlt die Prozessführungsbefugnis, wenn bei gemeinsamem Sorgerecht nur ein Elternteil auftritt, dem weder das Recht zur alleinigen Vertretung des Kindes durch eine familiengerichtliche Entscheidung übertragen worden ist, noch eine Zustimmung oder Genehmigung des weiteren Sorgeberechtigten zur Prozessführung vorliegt (vgl BSG vom 24.11.2011 - B 14 AS 107/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 52, RdNr 11).
2. Fraglich ist im Rahmen der Gewährung eines Mehrbedarfs wegen Alleinerziehung nach § 21 Abs 3 SGB 2, ob die vom BSG aufgestellten Grundsätze zur hälftigen Betreuung im wöchentlichen Intervall (vgl BSG vom 3.3.2009 - B 4 AS 50/07 R = BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5 und vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R = BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2, RdNr 16) auch auf Fälle übertragen werden können, in denen sich das minderjährige Kind täglich in beiden Haushalten der getrennt lebenden, aber gemeinsam sorgeberechtigten Eltern aufhält.
Normenkette
SGG § 71 Abs. 1, 2 S. 1; BGB §§ 106-107, 1629 Abs. 1 Sätze 2-3; SGB II § 21 Abs. 3 Nr. 2
Tenor
I. Die Beschwerde der minderjährigen Klägerin zu 2 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 19. Juli 2013 wird verworfen.
II. Auf die Beschwerde der Klägerin zu 1 wird der Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 19. Juli 2013, ihr keine Prozesskostenhilfe zu gewähren, in Bezug auf die Klägerin zu 1 aufgehoben.
Der Klägerin zu 1 wird für das Verfahren S 28 (17) AS 8662/12 beim Sozialgericht Dresden ab Antragstellung Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt …, beigeordnet.
Derzeit sind keine Raten zu zahlen. Zahlungen aus dem Vermögen sind nicht zu leisten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein erstinstanzliches Hauptsacheverfahren, in dem sie die Gewährung höherer Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.08.2012 bis 31.03.2013 geltend machen, nämlich Sozialgeld in voller Höhe für die Klägerin zu 2 und den Mehrbedarf für Alleinerziehende in voller Höhe für die Klägerin zu 1.
Die 1970 geborene Klägerin zu 1 ist die leibliche Mutter der am ….1999 geborenen Klägerin zu 2. Beide lebten zunächst zusammen in der Wohnung der Klägerin zu 1 und bezogen seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für die 58,57 m² große Drei-Zimmer-Wohnung hatte die Klägerin zu 1 im o.g. Zeitraum monatlich 253,76 € Nettomiete und Vorschüsse für Betriebskosten in Höhe von 47,88 € und für Heizkosten in Höhe von 96,14 € zu zahlen. Der Vater der Klägerin zu 2, O… K… (im Folgenden: O.K.), ist selbständiger Rechtsanwalt. Nach der Sorgeerklärung vom 28.04.2011 üben die Eltern das Sorgerecht gemeinsam aus.
Im Dezember 2011 erhielt das beteiligte Jobcenter Kenntnis davon, dass sich die Klägerin zu 2 überwiegend bei ihrem Vater aufhalte, aber noch bei der Klägerin zu 2 schlafe, im April 2012, dass sie seit Januar 2012 bei ihm lebe. Im Weiterbewilligungsantrag der Klägerin zu 1 vom 11.05.2012 wurde die Klägerin zu 2 weiterhin als in ihrem Haushalt lebend angegeben. Der Beteiligte hob mit Änderungsbescheid vom 14.05.2012 den zuvor zugunsten beider Klägerinnen ergangenen Bewilligungsbescheid vom 30.11.2011 für die Zeit vom 01.06.2012 bis 31.07.2012 teilweise auf und bewilligte nur noch der Klägerin zu 1 ab 01.06.2012 monatliche Leistungen. Bis zur endgültigen Klärung, ab wann sich die Klägerin zu 2 tatsächlich beim Vater aufgehalten habe, werde sie vorläufig ab 01.06.2012 aus der Berechnung heraus genommen. Zugleich wurde die Klägerin zu 1 zum Aufenthalt der Klägerin zu 2 angehört. Sie gab an, die Klägerin zu 2 halte sich nicht ausschließlich bei ihrem Vater auf. Sie, die Klägerin zu 1, koche für sie und kleide sie ein.
Mit vorläufigem Bescheid vom 03.07.2012 bewilligte der Beteiligte der Klägerin zu 1 monatliche Leistungen in Höhe von 771,78 € inklusive der tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 397,78 € für die Zeit vom 01.08.2012 bis 31.03.2013. Die Bewilligung erfolge vorläufig, da die Unterhaltsansprüche und die Aufenthaltsbestimmung der Tochter noch ungeklärt seien.
Am 10.07.2012 ging die Betriebskostenabrechnung der Vermieterin der Klägerin zu 1 für 2011 ein, die eine am 01.08.2012 fällige Nachzahlung in Höhe von 255,79 € und eine neue Miete ab 01.09.2012 in Höhe von 413,40 € ausweist. Mit Schreiben vom 12.07.2012 verzichtete die Vermieterin auf die Anpassung der Vorauszahlung für die Nebenkosten, so dass unverändert eine Gesamtmiete von 397,78 € verlangt wurde. Im Änderungsbescheid vom 29.08.2012, mit dem der Bescheid vom 03.07.2012 aufgehoben wurde, berücksichtigte der Beteiligte zunächst den höh...