Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankengeldanspruch. Erfordernis der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit (AU). organisatorische Fehler bei der Terminvergabe in der Arztpraxis. Verantwortungsbereich des Versicherten. freiwillig Versicherter in abhängiger Beschäftigung mit Entgelt jenseits der Jahresarbeitsentgeltgrenze. Fortbestehen der freiwilligen Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch bei ununterbrochen fortbestehender AU trotz des zwischenzeitlich beendeten Beschäftigungsverhältnisses. Ausscheiden des Krankengeldanspruchs nur, wenn er sich über die Berechnungsvorschriften des § 47 SGB 5 praktisch nicht (mehr) realisieren lässt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Organisatorische Fehler bei der Terminvergabe in der Arztpraxis sind nicht dem Verantwortungsbereich der Krankenkasse zuzurechnen.

2. Ein freiwillig Versicherter in abhängiger Beschäftigung mit einem Entgelt jenseits der Jahresarbeitsentgeltgrenze hat einen Krankengeldanspruch. Dieser ist nicht gemäß § 44 Abs 2 SGB V ausgeschlossen.

3. Die freiwillige Mitgliedschaft gemäß § 9 Abs 1 Nr 1 iVm § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V mit Krankengeldanspruch besteht bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit (AU) trotz des zwischenzeitlich beendeten Beschäftigungsverhältnisses fort, sofern die freiwillige Versicherung nicht gemäß § 191 SGB V endet und für die Berechnung der Höhe des entstehenden Krankengeldanspruchs (§ 46 S 1 Nr 2 SGB V) entsprechend der Berechnungsvorschriften des § 47 SGB V auf die vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgelaufene und abgerechnete Entgeltabrechnungsperiode (Referenzperiode) zurückzugreifen ist.

4. Der Krankengeldanspruch gemäß § 9 Abs 1 Nr 1 iVm § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V freiwillig Versicherter scheidet dann aus, wenn er sich über die Berechnungsvorschriften des § 47 SGB V praktisch nicht (mehr) realisieren lässt.

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 19. Juli 2019 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um Krankengeld (Krg) für die Zeit ab 11.06.2019.

Der 1958 geborene Antragsteller war bei der Antragsgegnerin wegen Überschreitens der Jahresentgeltgrenze (festes monatliches Bruttogehalt in Höhe von 7.645,02 €, netto: 5.052,95 €) freiwillig mit Krg-Anspruch krankenversichert. Sein Beschäftigungsverhältnis bei der Z... Reifenwerke AG & Co. KGaA endete durch Aufhebungsvertrag zum 31.03.2019. Seit dem 27.03.2019 war der Kläger arbeitsunfähig. Die Fachärztin für Innere Medizin Y... stellte am 27.03.2019 erstmals die Arbeitsunfähigkeit (AU) des Antragstellers ab 27.03.2019 bis voraussichtlich 23.04.2019 (Dienstag nach Ostermontag) wegen der Diagnosen (ICD-10 GM 2019) F48.0 (Neurasthenie), F10.2 (Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen [Abhängigkeitssyndrom]) sowie K57.32 (Divertikulitis des Dickdarmes ohne Perforation, Abszess oder Angabe einer Blutung) aus. AU-Bescheinigungen unter den Diagnosen folgten:

- Folgebescheinigung vom 25.04.2019 bis 22.05.2019

- Folgebescheinigung vom 23.05.2019 bis 29.05.2019

Mit Schreiben vom 30.04.2019 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, er erhalte ab 01.04.2019 tägliches Krankengeld (Krg) in Höhe von 105,88 € brutto und 93,10 € netto.

Mit Bescheid vom 26.04.2019 lehnte die Antragsgegnerin die Weitergewährung von Krg für die Zeit ab 24.04.2019 ab, da der Antragsteller nicht mehr mit Anspruch auf Krg bei ihr versichert sei. Die ärztliche Feststellung seiner weiteren AU sei erst am 25.04.2019 erfolgt, somit einen Tag zu spät, so dass die Mitgliedschaft und der Krg-Anspruch am 23.04.2019 geendet habe.

Dagegen legte der Antragsteller am 03.05.2019 Widerspruch ein. Da das Wartezimmer nach Ostern erfahrungsgemäß sehr voll sei, habe er einen Sprechstundentermin bei der Fachärztin für Innere Medizin Y... am 24.04.2019 erhalten. Zu diesem Zeitpunkt sei die Praxis jedoch außerplanmäßig geschlossen gewesen. Beigelegt hat er ein Schreiben von Y... vom 02.05.2019. Der Versuch, den Antragsteller von der außerplanmäßigen Schließung der Praxis telefonisch vorab zu informieren, sei fehlgeschlagen. Wider Erwarten seien auch die vertretenden Ärzte der Region am 23. und 24.04.2019 nicht in ihren Praxen zugegen gewesen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2019 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück. Ab dem 24.04.2019 habe der Antragsteller keinen Krg-Anspruch mehr, da er am 24.04.2019 nicht mehr mit Krg-Anspruch (freiwillig) versichert gewesen sei. Da seine Beschäftigung durch Kündigung zum 31.03.2019 geendet habe, sei er ab 24.04.2019 als Beschäftigungsloser freiwillig ohne Krg-Anspruch versichert. Zum Aufrechterhalten des Krg-Anspruchs fehle es an einer lückenlosen Feststellung der AU. Der Antragsteller habe sich die AU-Bescheinigung gegebenenfalls von einem anderen Arzt rechtzeitig ausstellen lassen müssen.

Am 11.06.2019 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen A...

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