Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall des Arbeitslosengeld II wegen Pflichtverletzung und Aufhebung der Leistungsbewilligung. einstweiliger Rechtsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Rechtsschutzbedürfnis. Rechtswidrigkeit des Sanktionsbescheides
Leitsatz (amtlich)
Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollzogenen Bescheid über die Feststellung des vollständigen Entfallens von Leistungen und Aufhebung der Leistungsbewilligung entfällt nicht, wenn aufgrund einer fortwirkenden Notlage die Aufhebung der Vollziehung in Betracht kommt.
Orientierungssatz
Zur Rechtswidrigkeit des Sanktionsbescheides gemäß §§ 31, 31a SGB 2, wenn der Arbeitsuchende eine achtmonatige Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit erhalten hat, aber nicht der Grundsicherungsträger geprüft hat, ob der Leistungsberechtigte körperlich, geistig und seelisch in der Lage ist, die zugewiesenen Arbeiten zu verrichten, sondern diese Prüfung dem Maßnahmeträger während einer vierzehntägigen Einarbeitungs- und Einweisungszeit überlassen wurde.
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 8. Juli 2019 abgeändert:
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 19. Juli 2019 gegen den Bescheid vom 17. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2019 (W 5522/19) wird angeordnet, soweit der Bescheid vom 4. Januar 2019 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Antragsteller für Juni bis August 2019 hinsichtlich der Leistungen für den Regelbedarf in Höhe von 245,45 € monatlich aufgehoben wurde. Insoweit wird die Vollziehung des Bescheids vom 17. Mai 2019 aufgehoben und der Antragsgegner einstweilig verpflichtet, dem Antragsteller 736,35 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde verworfen.
II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten für das Antragsverfahren in vollem Umfang und für das Beschwerdeverfahren zur Hälfte zu erstatten.
Gründe
I.
Im Streit ist das vollständige Entfallen des Alg II für Juni bis August 2019.
Der 1960 geborene, nach eigenen Angaben ledige, Antragsteller ist zusammen mit der 1964 geborenen ... (nachfolgend: H....P.) Mieter einer Wohnung.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller, H....P. und der 1994 geborenen ... (nachfolgend: K....P.) als Bedarfsgemeinschaft (BG) u.a. für Juni bis August 2019 Alg II, dem Antragsteller 459,06 € (253,53 € Regelbedarf; 205,53 € Bedarfe für Unterkunft und Heizung) monatlich (Änderungsbescheid vom 04.01.2019 für Februar bis Oktober 2019). Die der Bedarfsgemeinschaft insgesamt bewilligten Leistungen für die Bedarfe Unterkunft und Heizung (616,59 € monatlich) zahlte der Antragsgegner in Höhe von 616,57 € monatlich direkt an den Vermieter, auch für Juni bis August 2019. Die Zahlungen wurden am 23.05.2019, 21.06.2019 und 24.07.2019 für den jeweiligen Folgemonat angewiesen.
Minderungen des Alg II stellte der Antragsgegner für den Antragsteller für August bis Oktober 2018 um 112,20 € monatlich (Bescheid vom 16.07.2018) und für November 2018 bis Januar 2019 um 224,40 € (Bescheid vom 16.10.2018) fest, da der Antragsteller sich geweigert habe, Arbeitsgelegenheiten als Helfer - Gartenbau fortzuführen bzw. aufzunehmen. Widersprüche wurden dagegen nicht erhoben.
Nach einer am 20.02.2019 von den Beteiligten unterzeichneten Eingliederungsvereinbarung verpflichtete sich der Antragsteller, vom 04.03. bis 03.11.2019 an einer Arbeitsgelegenheit als Kundendienstberater bei der ... (... Verkehrsbetriebe) teilzunehmen und entsprechend nachfolgender Bestimmungen auszuüben: u.a. "Wöchentliche Arbeitszeit: 30; Arbeitszeitrahmen: Zwischen 06:00 bis 20:00; Wochentage: 5 (Mo - So); Mehraufwandsentschädigung ... 1,75 € pro ... Stunde". Ziel der Maßnahme sei die Wiederherstellung der Verfügbarkeit für den 1. Arbeitsmarkt. Eine gesonderte Zuweisung enthalte die konkreten Angaben zur Arbeitsgelegenheit. Der Zuweisungsbescheid vom 20.02.2019 enthält u.a. Angaben zur Einsatzstelle (u.a. Tätigkeitsbeschreibung) sowie zu Lage und Verteilung der Arbeitszeit (u.a. Arbeitszeitform: Teilzeit - Schicht). Weiterhin hatte der Antragsteller danach bis zum 08.03.2019 das Ergebnis eines Gesprächs beim Maßnahmeträger und wichtige Gründe gegen die Aufnahme oder Ausführung der Arbeitsgelegenheit mitzuteilen.
Am 07.03.2019 (Rückantwort vom 06.03.2019) teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, er habe sich am 04.03.2019 beim Träger der Maßnahme gemeldet. Die Arbeitsgelegenheit mache er nicht. Er müsse auf sich aufpassen, da er Falithrom nehme.
Am 19.03.2019 blieb der Antragsteller bei einer persönlichen Vorsprache beim Antragsgegner bei seiner Auffassung, nicht an dieser Arbeitsgelegenheit teilzunehmen. Am selben Tag vereinbarten die Beteiligten die Teilnahme des Antragstellers an einer anderen Arbeitsgelegenheit vom 01.04. bis 30.09.2019 und hob der Antragsgegner mit Bescheid die Zuweisung ab dem 04.03.2...