Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Ordnungsgeld bei Versäumung der Frist zur Erstattung eines schriftlichen Gutachtens. Voraussetzung: Versäumen von zwei Fristen
Leitsatz (amtlich)
Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nach § 411 Abs 2 S 1 ZPO setzt voraus, dass der Sachverständige zwei Fristen versäumt hat: zuerst die gemäß § 411 Abs 1 ZPO in der Beweisanordnung oder in einem späteren gerichtlichen Schreiben gesetzte Frist zur Übermittlung des schriftlichen Gutachtens und zum zweiten die nach § 411 Abs 2 S 2 ZPO gesetzte Nachfrist.
Normenkette
ZPO § 411 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 Sätze 1-2, 2 Fassung: 2006-12-22; SGG §§ 106, 118, 183, 197a; VwGO § 154 Abs. 1-2; GKG § 21
Tenor
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 18. Januar 2017 aufgehoben.
II. Die Staatskasse trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen werden keine Kosten erhoben.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen ein ihm auferlegtes Ordnungsgeld.
In einem Rechtsstreit zur Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung hat das Sozialgericht Leipzig den Beschwerdeführer mit Beweisanordnung vom 16. Februar 2015 gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Weder in der Beweisanordnung vom 16. Februar 2015 noch in dem Anschreiben dazu hat das Sozialgericht eine Frist gesetzt oder einen Zeitraum benannt, in dem das Sachverständigengutachten zu erstellen sei.
Im Juni und Juli 2015 ergingen Erinnerungsschreiben an den Sachverständigen, im September und November 2015 sowie Januar 2016 jeweils mit dem Zusatz "Sie hatten eine Vorlage bis…" angekündigt. Mit gerichtlichem Schreiben vom 5. April 2016 wurde an die Erledigung des Gutachtensauftrages zum 6. Mal erinnert; es solle laut Schreiben des Beschwerdeführers bis 10. Februar 2016 fertiggestellt werden. Mit richterlichem Schreiben vom 17. Juni 2016 wurde um umgehende Nachreichung des Gutachtens gebeten. Im August 2016 wurde beim Beschwerdeführer angefragt, wann definitiv mit der Gutachtenerstellung gerechnet werden könne, im Februar 2017 nochmals um umgehende Vorlage gebeten und im Mai 2017 angefragt, wann mit Eingang des Gutachtens gerechnet werden könne. Der Beschwerdeführer teilte immer wieder Termine mit, zu denen er das Gutachten vorlegen werde.
Mit Schreiben vom 3. August 2017 hat der Kammervorsitzende dem Beschwerdeführer "zur Erstellung und Übersendung des Gutachtens eine Nachfrist bis 10.09.2017 gesetzt" und im Falle der Nichtvorlage des Gutachtens die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR gemäß § 118 SGG i.V.m. § 411 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) angekündigt. Auch auf dieses Schreiben hat der Beschwerdeführer - wie bereits mehrfach zuvor - mitgeteilt, dass das Gutachten bis zum 10. September 2017 eingehen werde; er bitte die Verspätung zu entschuldigen.
Mit Beschluss vom 18. Januar 2018 hat das Sozialgericht gegen den Beschwerdeführer ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR festgesetzt (Ziffer I.), zugleich eine weitere Nachfrist bis zum 1. März 2017 gesetzt und ein erneutes Ordnungsgeld in Höhe von 3.000,00 EUR angekündigt (Ziffer II.).
Am 6. Februar 2018 hat der Beschwerdeführer gegen den ihm am 26. Januar 2018 zugestellten Beschluss Beschwerde eingelegt aufgrund akuter Veränderungen seiner familiären Lebensumstände durch lebensbedrohlichen Gesundheitszustand seiner Frau nach Komplikation und Notoperation und bestehender Pflegebedürftigkeit seit April 2017. Erst im September 2017 habe auch er eine schwere Erkrankung überwunden. Er werde den neu festgesetzten Termin für die Erstellung des Gutachtens einhalten. Sodann hat er Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 15. Mai bis 4. September 2017 und die ärztliche Bestätigung einer 24-Stunden-Betreuung seiner Ehefrau für drei Monate ab 17. Mai 2017.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 18. Januar 2018 aufzuheben.
Bis dato ist kein Gutachten beim Sozialgericht Leipzig eingegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtskate im Beschwerdeverfahren verwiesen.
II.
Die gemäß §§ 172, 173 SGG statthafte und zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Ordnungsgeldbeschluss vom 18. Januar 2018 ist aufzuheben, weil die formellen Voraussetzungen für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes (noch) nicht vorlagen.
Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Abs. 2 Satz 1 ZPO (in der seit 15. Oktober 2016 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes, der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Gerichtskostengesetzes vom 11. Oktober 2016; BGBl. I S. 2222 ≪n.F.≫) soll ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, wenn ein zur Erstattung des Gutachtens ...