Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit. Verletzung des rechtlichen Gehörs. Androhung von Verschuldenskosten

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfall eines begründeten Befangenheitsantrages;

hier: Gehörsverstoß und Androhung von Missbrauchskosten nach § 192 SGG.

 

Tenor

Das Gesuch der Antragstellerin, den Vorsitzenden der 28. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz, Richter am Sozialgericht R…, im Verfahren S 28 AS 1402/11 wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, ist begründet.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin führt vor der 28. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz, deren Vorsitzender der Richter am Sozialgericht R… ist, ein Verfahren wegen Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Nachdem der Antragstellerin vom beklagten Jobcenter (im Folgenden: Beklagter) ursprünglich für die Zeit vom 01.07.2007 bis 31.12.2007 Leistungen bewilligt worden waren, wurde diese Bewilligung mit Bescheid vom 05.03.2008 ab 01.09.2009 teilweise aufgehoben und von der Antragstellerin insgesamt 1.216,60 EUR zurückgefordert. Ihr Widerspruch dagegen war erfolglos.

Am 31.07.2008 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Chemnitz Klage erhoben (ursprüngliches Aktenzeichen S 5 AS 4178/08, später S 35 AS 4178/08) und die Aufhebung der Bescheide beantragt, weil es sich bei einer Erbschaft um Vermögen und nicht um Einkommen handele. Der Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 08.09.2008. Eine ausführliche Klagebegründung der Antragstellerin mit Bezugnahme auf ein Urteil des Sozialgerichts Aachen folgte am 08.10.2008. Der damals zuständige Richter wies darauf hin, dass zur auch hier streitigen Rechtsfrage ein Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht (BSG) anhängig sei, das abgewartet werden solle. Auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet; am 25.06.2009 wurde es vorläufig aus der Streitliste ausgetragen.

Mit Schreiben vom 15.03.2011 rief der Beklagte das Verfahren wieder auf: zwar verhalte sich die im Revisionsverfahren ergangene Entscheidung nicht zu dem hiesigen Streitgegenstand, aber inzwischen sei eine Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts ergangen, welche eine Erbschaft eindeutig zum Einkommen des Hilfebedürftigen rechne. Das Verfahren wurde sodann der 28. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz zugeteilt und erhielt das jetzige Aktenzeichen. Der Vorsitzende der 28. Kammer, Richter am Sozialgericht R…, fragte am 30.05.2011 unter Hinweis auf das o.g. Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts an, ob die Klage zurückgenommen werde. Hierauf teilte die Antragstellerin mit, dass sie die Klage nicht zurücknehme. Die zitierten Entscheidungen verstießen gegen den grundrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, was näher ausgeführt wird; vorliegend sei durch die vorbehaltlose Nachzahlung und Neugewährung in Kenntnis sämtlicher relevanter Tatsachen für den Folgezeitraum ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, sodass sie von der Nichtberücksichtigung der Erbschaft habe ausgehen können.

Mit vom Richter am Sozialgericht R… unterschriebenem und der Antragstellerin zugestellten Schreiben vom 21.06.2011 führte er aus, nach der von der Antragstellerin selbst zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung sei eine Erbschaft als Einkommen anzusehen, soweit sie während des Leistungsbezuges zufließe; dies sei in ihren Fall gegeben. Verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz seien nicht erkennbar. Zugleich wies er darauf hin, dass die Fortführung des Rechtstreits als missbräuchlich anzusehen sei, so dass das Gericht beabsichtige, für den Fall, dass die Klage aufrechterhalten bleibe, der Antragstellerin Verschuldenskosten aufzuerlegen. Für diesen Fall sei eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt.

Am 26.07.2011 hat die Antragstellerin gegen den Richter am Sozialgericht R… einen Befangenheitsantrag gestellt. Er gehe nur auf den Klagegrund “Erbschaft als Vermögen„ ein und nehme die alternative zweite Klagebegründung weder zur Kenntnis noch ziehe er diese in Erwägung. Hinzu komme, dass er die Auferlegung von Kosten angedroht habe, die aufgrund des geringen Alg II-Regelsatzes zu einer ernormen Belastung für die Antragstellerin werden könnten, so dass ebenfalls das Recht auf rechtliches Gehör durch die Androhung von Kosten unterminiert werde.

Die Vorsitzende der 28. Kammer des Sozialgerichts Chemnitz, Richter am Sozialgericht R…, führt in seiner dienstlichen Äußerung vom 08.08.2011 aus, die Antragstellerin begründe ihr Ablehnungsgesuch damit, dass sich der Vorsitzende nicht ihrer fehlerhaften Rechtsansicht anschließe und die Aufrechterhaltung der Klage für rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erachte. Ein entsprechender rechtlich zwingender Hinweis auf die Möglichkeit der Auferlegung von Verschuldenskosten sei ergangen. Einen Ablehnungsgrund vermöge er hierin nicht zu erkennen.

Hierauf hat die Antragstellerin ausgeführt, dass ihre Klageb...

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