Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Erwerbstätigkeit im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO ist die Tätigkeit, die zu Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhaltes führt.
2. Die Tätigkeit im Rahmen eines 1-Euro-Jobs, für die eine Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II gezahlt wird, ist keine Erwerbstätigkeit im Sinne von § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO.
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, die sich gegen die Festsetzung einer Ratenzahlungspflicht in Höhe von 15,00 EUR im Beschluss des Sozialgerichtes vom 19. Februar 2007 wendet, ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe einer monatlichen Ratenzahlung in Höhe von 15,00 EUR bewilligt.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt für jeden Rechtszug besonders (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Hieran gemessen war Prozesskostenhilfe mit einer Ratenzahlungsverpflichtung in der festgelegten Höhe zu bewilligen.
Gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die Partei ihr Einkommen einzusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Klägerin bezieht Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich 588,61 EUR. Sie erhält ferner eine Mehraufwandsentschädigung aus einem sogenannten 1-Euro-Job gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) in Höhe von durchschnittlich 120,00 EUR im Monat. Insgesamt erzielt sie danach Einkommen in Höhe von 708,61 EUR.
Von diesem Einkommen sind Beträge nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3 ZPO abzusetzen, wobei die Beträge, die zum Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe gelten, maßgebend sind (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Dies sind vorliegend der eigene Unterhaltsfreibetrag in Höhe von 380,00 EUR (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 Buchst. a ZPO i. V. m. Nr. 2 der Bekanntmachung des Bundesministeriums der Justiz zu § 115 der Zivilprozessordnung (Prozesskostenhilfebekanntmachung 2006 - PKHB 2006) vom 6. Juni 2006 [BGBl I S. 1292]) sowie die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 295,28 EUR (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO). Dies ergibt einen Gesamtabzugsbetrag in Höhe von 675,28 EUR.
Hingegen war vom Einkommen der Klägerin nicht gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) der Erwerbstätigkeitsbonus in Höhe von damals 173,00 EUR (vgl. Nummer 1 PKHB 2006) abzusetzen. Denn § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Buchst. b ZPO stellt auf “Parteien, die ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen,„ ab. Die Klägerin, die auf Grund ihres sogenannten 1-Euro-Jobs eine Mehraufwandsentschädigungen gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II erhält, ist nicht im Sinne dieser Vorschrift erwerbstätig.
Der Bergriff der Erwerbstätigkeit ist weder in § 115 ZPO noch an anderer Stelle in der Zivilprozessordnung definiert. Es ist deshalb auf den Sprachgebrauch, wie er in anderen Normen seinen Niederschlag gefunden hat, abzustellen. Weil die Prozesskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO (67. Aufl., 2009), Übers. § 114 Rdnr. 1, m. w. N.), ist zur Auslegung des Erwerbstätigkeitsbegriffes in erster Linie auf das Sozialhilferecht zurückzugreifen,
Unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) wurde der Begriff der Erwerbstätigkeit weit verstanden. Das Bundesverwaltungsgericht beschrieb sie als Tätigkeit, “die zu Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhalts führt„ (so zu § 88 Abs. 2 Nr. 4 BSHG: BVerwG, Urteil vom 19. November 1992 - BVerwG 5 C 15.84 - BVerwGE 91, 173 [175]; BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1994 - 5 C 32/91 - BVerwGE 96, 246 [248]). Unter einem Erwerbstätigen verstand es demzufolge “jemanden, der - sei es als Selbständiger, sei es als unselbständig Beschäftigter - eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen„ (BVerwG, Urteil vom 21. Juli 1994 - 5 C 32/91, a. a. O.). Hiervon ausgehend wurden zu den Erwerbstätigen auch Personen gerechnet, die einer n...