Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. analoge Anwendung von § 159 Abs 1 Nr 2 SGG im Beschwerdeverfahren. Anforderungen an die Pflicht zur Begründung eines Beschlusses. hinreichende Erfolgsaussichten einer Klage gegen Rücknahmebescheid. gesteigertes Verschulden
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zurückverweisungsregelung des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG ist im Beschwerdeverfahren analog anwendbar.
2. Der Pflicht zur Begründung eines Beschlusses gem § 142 Abs 2 S 1 SGG ist nur genügt, wenn für die Beteiligten erkennbar ist, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgebend waren. Dem genügt die Begründung eines Beschlusses nicht, wenn sie bloß den Gesetzeswortlaut wiedergibt (hier: "Die Klage erscheint mutwillig und ohne Aussicht auf Erfolg").
3. Zur hinreichenden Erfolgsaussicht einer Klage gegen einen Rücknahmebescheid, in dem gesteigertes Verschulden iSv § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB 10 und § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB 10 vorgeworfen wird.
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichtes Chemnitz vom 3. September 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Anträge der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenbeihilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes an das Sozialgericht Chemnitz zurückverwiesen.
Gründe
Die zulässige Beschwerde, die gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Chemnitz vom 3. September 2008 gerichtet ist, mit dem der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes wegen fehlender Erfolgsaussicht und Mutwilligkeit abgelehnt worden ist, ist im Sinne der Zurückverweisung in analoger Anwendung von § 159 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) begründet.
Nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen werden, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Diese im Berufungsverfahren angesiedelt Regelung ist im Beschwerdeverfahren analog anwendbar (im Ergebnis ebenso z. B.: BayLSG, Beschluss vom 21. September 2006 - L 11 B 225/06 SO PKH - JURIS-Dokument Rdnr. 11; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. November 2006 - L 18 B 1037/06 AS ER - JURIS-Dokument Rdnr. 2 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Mai 2008 - L 7 B 44/08 AS - JURIS-Dokument Rdnr. 5; Schlesw.Holst. LSG, Beschluss vom 3. Dezember 2008 - L 6 B 218/08 AS PKH - JURIS-Dokument Rdnr. 14)
Der angefochtene Beschluss leidet an einem wesentlichen Mangel, weil er keine den Vorgaben des § 142 Abs. 2 Satz 1 SGG entsprechende Begründung enthält. Nach dieser Regelung sind unter anderem Beschlüsse zu begründen, wenn sie - wie vorliegend - durch Rechtsmittel angefochten werden können. Der Begründungspflicht ist nur genügt, wenn für die Beteiligten erkennbar ist, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgebend waren (vgl. BSG, Urteile vom 31. Oktober 1997 - 13 RJ 31/97 - SozR 3-15000 § 142 Nr. 1 = JURIS-Dokument Rdnr. 13 und vom 11. März 1998 - B 9 SB 6/97 R - JURIS-Dokument Rdnr. 12; vgl. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [9. Aufl., 2008], § 136 Rdnr. 7; ähnlich § 202 SGG i. V. m. § 312 Abs. 3 der Zivilprozessordnung [ZPO] zur Begründung in den Entscheidungsgründen eines Urteils sowie § 35 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - [SGB X] zur Begründung eines Verwaltungsaktes). Die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung soll zugleich ermöglichen, die Entscheidung überprüfen zu können (BVerwG, Beschluss vom 5. Juni 1998 - 9 B 412/98 - NJW 1998, 3290). Diesen Anforderungen genügt die Begründung des angefochtenen Beschlusses nicht.
Der angefochtene Beschluss enthält in den Gründen nur folgenden Satz: “Die Klage erscheint mutwillig und ohne Aussicht auf Erfolg.„ Damit wird im Kern lediglich ein Teil des Gesetzeswortlautes aus § 73a Abs. 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO wiedergegeben. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlautes ist aber nicht ausreichend (LSG Hamburg, Beschluss vom 8. Oktober 1981 - VI PKHs 30/81 - Breithaupt 1982, 356). Selbst wenn mit dem zitierten Satz das Ergebnis der sozialgerichtlichen Entscheidung zusammengefasst werden sollte, läge keine ausreichende Begründung im Sinne von § 142 Abs. 2 Satz 1 SGG vor. Denn für die Klägerin ist nicht zu erkennen, welche Erwägungen für das vom Sozialgericht gewonnene Ergebnis maßgebend waren.
Das Fehlen einer Begründung ist ein wesentlicher Verfahrensmangel (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Oktober 1982 - L 3 Sb 40/82 - Breithaupt 1983, 840; Keller, a. a. O., § 142 Rdnr. 5e), die den Anwendungsbereich der Zurückverweisungsregelung des § 159 SGG eröffnet.
Der Senat verweist die Sache in Ausübung des ihm eingeräumten Ermessens an das Sozialgericht zurück. Er hat hierbei berücksichtigt, dass die Zurückverweisung, auch zur Vermeidung einer langen Verfahrens...